Welche Zellen in der Lunge und in den Bronchien vom Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert werden, haben Forscher des Berlin Institute of Health (BIH), der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Thoraxklinik des Universitätsklinikums Heidelberg, die im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) organisiert sind, an Probenmaterial aus nicht virusinfizierten Patienten untersucht. Sie fanden heraus, dass der Rezeptor für dieses Coronavirus vermehrt in bestimmten Vorläuferzellen exprimiert wird (siehe EMBO Journal, Online-Veröffentlichung am 14.4.2020). Diese Vorläuferzellen entwickeln sich normalerweise zu den Zellen im Atemtrakt, die mit ihren Flimmerhärchen dafür sorgen, dass Schleim und Bakterien aus der Lunge heraustransportiert werden.
Eigentlich wollten Prof. Roland Eils und seine KollegInnen von der Thoraxklinik in Heidelberg untersuchen, warum manche Menschen an Lungenkrebs erkranken, die nie geraucht haben. Dazu hatten sie Proben aus der Lungenbiobank Heidelberg von insgesamt 12 PatientInnen mit Lungenkrebs analysiert. Die Proben stammten sowohl aus dem vom Krebs befallenen Teil der Lunge als auch aus dem umgebenden, gesunden Lungengewebe. Außerdem untersuchten sie gesunde Zellen aus den Atemwegen von PatientIinnen, die zum Ausschluss von Lungenkrebs mittels einer Bronchoskopie (Lungenspiegelung) minimal invasiv gewonnen worden waren. Mit der sich rasch ausweitenden Coronavirus-Pandemie erinnerten sich die Forscher an diese bislang nicht veröffentlichten Daten. „Ich war davon überzeugt, dass diese Daten, die wir aus nicht Coronavirus infizierten Patienten erhoben haben, wichtige Informationen zum Verständnis der Virusinfektion enthalten“, sagt Roland Eils, der Gründungsdirektor des Digital Health Center am BIH ist.
„Wir wollten wissen, welche Zellen genau es sind, die das Coronavirus befällt“, erklärt Prof. Christian Conrad, ebenfalls am BIH Digital Health Center tätig. Von Untersuchungen unter anderem von BIH-Prof. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie am Campus Charité Mitte, wussten die WissenschaftlerInnen, dass es der so genannte ACE2 Rezeptor auf den Zelloberflächen ist, an den das Virus mit seinem Spike-Protein bindet. Zusätzlich benötigt das Virus einen oder mehrere Kofaktoren, die ihm dabei helfen, in die Zellen einzudringen. Doch auf welchen Zellen sitzen die Rezeptoren und Kofaktoren? Welche Zellen in welchem Teil des Atemsystems sind damit besonders anfällig für eine SARS-CoV-2 Infektion? Eils und seine KollegIinnen am BIH und an der Charité untersuchten nun mithilfe der Single-Cell-Sequenzier-Technologie einzelne Zellen aus dem Probenmaterial aus Heidelberg.
„Wir haben insgesamt fast 60.000 Zellen daraufhin untersucht, ob sie die Gene für den Rezeptor und eventuelle Kofaktoren angeschaltet haben, somit also prinzipiell vom Coronavirus infiziert werden können“, berichtet Soeren Lukassen, der Erstautor der gerade erschienenen Arbeit. „Nur in ganz wenigen Zellen fanden wir die Genabschriften für ACE2 und den Kofaktor TMPRSS2 und auch dort nur in äußerst geringer Anzahl.“ Lukassen und seine vier Ko-Erstautoren Robert Lorenz Chua, Timo Trefzer, Nicolas C. Kahn und Marc A. Schneider fanden heraus, dass in den Bronchien vor allem bestimmte Vorläuferzellen die Rezeptoren für das Coronavirus herstellen. Diese Vorläuferzellen entwickeln sich normalerweise zu den Zellen im Atemtrakt weiter, die mit ihren Flimmerhärchen dafür sorgen, dass Schleim und Bakterien aus der Lunge heraustransportiert werden. „Mit dem Wissen, welche Zellen angegriffen werden, können wir nun zielgerichtete Therapien entwickeln. Wir müssen aber noch verstehen, warum die Infektion bei Einzelnen rasch ausheilt und sich bei anderen zu einem akuten Lungenversagen entwickelt“ erklärt Prof. Michael Kreuter von der Thoraxklinik des Heidelberger Universitätsklinikums.
Als interessanten Nebenbefund entdeckten die Forscher, dass die ACE2-Rezeptordichte auf den Zellen mit dem Alter anstieg und generell bei Männern höher war als bei Frauen. „Das war nur ein Trend, könnte aber erklären, warum mehr Männer als Frauen infiziert werden“, meint Roland Eils. Er gibt jedoch zu bedenken: „Für eine belegbare Aussage hierzu sind allerdings unsere Fallzahlen noch viel zu gering. Diese Untersuchung müssen wir an größeren Patientenkohorten wiederholen.“
„Diese Ergebnisse zeigen uns, dass das Virus sehr gezielt vorgeht, und auf bestimmte Zellen im Körper angewiesen ist, um sich ausbreiten und vermehren zu können“, erklärt Roland Eils. „Je besser wir die Wechselwirkungen zwischen dem Virus und seinem Wirt verstehen, desto besser kann es uns gelingen, Gegenstrategien zu entwickeln.“ In einem nächsten Schritt werden die WissenschaftlerInnen um Eils nun COVID-19 PatientInnen darauf untersuchen, ob auch bei ihnen tatsächlich diese Zellen vom Virus befallen sind. „Wir wollen verstehen, warum die Infektion bei manchen PatientInnen so harmlos verläuft und warum andere so schwer erkranken. Dazu werden wir uns auch die Immunzellen im befallenen Gewebe genauer ansehen.“
Basierend auf einer leistungsstarken Technologielösung die von Intel designt wurde, entwickelte Dell eine Hardware- und Systemarchitektur, um die Verarbeitungszeit der Sequenzierung der 60.000 Einzelzellen zu verkürzen. Hannes Schwaderer, Country Manager der Intel Deutschland GmbH, erklärt: „Es gibt noch viele Aspekte, die wir über das Coronavirus nicht wissen. Dieses Forschungsprojekt und die nächsten Schritte erfordern enorme Rechenressourcen. Genau hier können wir unsere Expertise einbringen.“
Das Berlin Institute of Health (BIH) unterstützt die Forschungen am neuen Coronavirus SARS-CoV-2 in einem gezielten Programm. Prof. Axel R. Pries, Vorstandsvorsitzender (interim) des BIH und Dekan der Charité, betont: „Es ist unsere Aufgabe als Forscherinnen und Forscher, angesichts dieser globalen Bedrohung durch das SARS-CoV-2 Virus unser gesamtes Know-How dafür einzusetzen, das Virus und seine Strategien zur Infektion sowie die Krankheitsverläufe von COVID-19 Patienten zu verstehen. Nur so werden wir Hochrisikopatienten besser identifizieren und neue Therapien sowie Impfstoffe entwickeln können. Jeder Beitrag ist wichtig auf diesem Weg.“
Quelle: Berlin Institute of Health (BIH)