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Über die richtige Einordnung von Corona-Schnelltest-Ergebnissen

Die Dezember-Unstatistik ist wie so Vieles im Corona-Jahr 2020 von Ambivalenz geprägt und verweist auf ein formal besonders gelungenes Beispiel der statistischen Kommunikation, das aber gleichzeitig eine fragwürdige inhaltliche Botschaft transportiert. So zeigt die Unstatistik, wie die aktuelle Inzidenz Ergebnisse und Aussage verändert.

Die Corona-Pandemie hat die Statistik als Wissenschaft ins Rampenlicht geholt. So sollen unzählige Analysen, Kurven und Kennziffern dabei helfen, die Pandemie zu erklären und politische Maßnahmen zu begründen. Das gelingt nicht immer gut. Denn viele dieser Analysen vermitteln den Eindruck, man wisse genau, wo wir gerade in der Pandemie stehen und wie sie sich entwickelt. Aber unser Wissen hat in weiten Teilen bestenfalls den Charakter von Leitplanken – es grenzt ab, wo unser Nicht-Wissen beginnt, ist aber keinesfalls so präzise, wie es die exakt verlaufenden Kurven glauben lassen. Deshalb hatten einige Ausgaben der Unstatistik in den vergangenen Monaten (siehe https://www.rwi-essen.de/unstatistik/) einen anderen als den vertrauten Charakter.

Anstatt nur den Finger in die Wunde zu legen, wo Statistik missbraucht wurde, haben Forscher des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung regelmäßig Vorschläge unterbreitet, wie man es besser machen kann. Die Dezember-Unstatistik ist wie so vieles im Corona-Jahr 2020 von Ambivalenz geprägt und verweist auf ein formal besonders gelungenes Beispiel der statistischen Kommunikation, das aber gleichzeitig eine fragwürdige inhaltliche Botschaft transportiert.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat am 10. Dezember 2020 eine Infografik veröffentlicht, die dabei helfen soll, die Testergebnisse von Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV2 zu verstehen. Sie vergleicht dabei zwei unterschiedliche Szenarien: Einerseits das gezielte Testen von symptomatischen Personen, andererseits die Durchführung von Massentests – also ungezielte Tests von Personen, die weder Symptome haben noch Kontakte zu infizierten Personen hatten.

Die Ergebnisse sind in Form von Bäumen mit natürlichen Häufigkeiten dargestellt: Anhand von jeweils 10.000 Personen, unter denen 1.000 (bei gezielten Tests) oder 5 (bei Massentests) tatsächlich infiziert sind, wird verdeutlicht, wie viele Menschen von den Antigen-Tests fälschlicherweise als infiziert oder nicht infiziert erkannt werden. Durch einfaches Auszählen und Zuweisen der jeweiligen Personen zu den vier Gruppen (richtig positiv oder negativ; falsch positiv oder negativ) kann der Leser mit Hilfe der Grundrechenarten zwei wichtige Wahrscheinlichkeiten ermitteln:

1.       Wie hoch ist mein Risiko, infiziert zu sein, obwohl der Test negativ ist?

2.       Wie hoch ist mein Risiko, infiziert zu sein, wenn der Test positiv ist?

In den beispielhaft dargestellten Szenarien wird sofort klar, dass Massen-Schnelltests zwar relativ zuverlässig Infizierte erkennen können; das Risiko, infiziert zu sein, obwohl der Test negativ ist, liegt bei lediglich 0,01 %. Beim gezielten Testen steigt es etwas an – dort beträgt es 2,2 %. Dieser absolut kleine Anstieg des Risikos einer Fehldiagnose infizierter Personen um 2,1 Prozentpunkte bringt aber eine erhebliche Reduktion des Risikos einer Fehldiagnose nicht infizierter Personen mit sich. Beim Massentest beträgt das Risiko, dass ein positiver Corona-Schnelltest falsch ist, also in Wirklichkeit keine Infektion vorliegt, ganze 98 %. Fast alle, nämlich 98 von 100 Getesteten, die ein Massen-Schnelltest als infiziert diagnostiziert, sind also gesund! Gezieltes Testen reduziert dieses Risiko erheblich. Es sinkt in diesem Fall um 79,6 Prozentpunkte auf 18,4 %. Immerhin vier von fünf positiv Getesteten sind demnach in diesem Szenario tatsächlich infiziert.

Die unausgesprochene Botschaft dieses Szenario-Vergleichs ist kaum zu überlesen: Man sollte sich nur testen lassen, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt beziehungsweise typische Symptome auftreten. Aber ist die Situation wirklich so eindeutig?

Ein Anteil von lediglich fünf tatsächlich Infizierten unter 10.000 Getesteten ist mit Blick auf die derzeitige Inzidenz kaum wahrscheinlich. Unter Annahme einer Dunkelziffer von etwa Faktor fünf, die RKI-Leiter Lothar Wieler im November kommuniziert hat, wäre eine Prävalenz von 1 %, also ein Anteil von 100 Infizierten unter 10.000 Massengetesteten, weitaus realistischer.

Auf das Risiko, infiziert zu sein, wenn der Test negativ ist, hat diese veränderte Annahme kaum Einfluss. Es liegt in diesem Szenario bei 0,02 %, also absolut 2,0 Prozentpunkte unter dem Risiko einer negativen Fehldiagnose infizierter Personen. Umgekehrt sind die Auswirkungen jedoch erheblich. Das Risiko, dass ein positiver Corona-Schnelltest falsch ist, liegt jetzt nur noch bei 71,2 %. Unter 100 als infiziert Diagnostizierten sind es dann immerhin 29 tatsächlich, 71 sind es nicht.

Forscher des RWI haben in früheren Unstatistiken regelmäßig darauf hingewiesen, wie missverständlich die Darstellung von relativen Häufigkeiten bzw. relativen Risiken sein kann, zuletzt in der November-Unstatistik zur Wirksamkeit des Corona-Impfstoffs . Selbst viele Mediziner können Testergebnisse nicht richtig einordnen, wenn sie Informationen über Sensitivität, Spezifität und Prävalenz in Form relativer Häufigkeiten beziehungsweise Wahrscheinlichkeiten erhalten, wie auch diese Studie zeigt. Das liegt daran, dass das Rechnen mit bedingten Wahrscheinlichkeiten sehr abstrakt ist.

Natürliche Häufigkeiten erleichtern es nicht nur Ärzten, die korrekten Wahrscheinlichkeiten einer Erkrankung aus Testergebnissen abzuleiten. Sie helfen jedem Menschen, der vor der Frage steht, sich ohne konkrete Verdachtsmomente vorsichtshalber testen zu lassen, eine rationale Entscheidung zu fällen und sich verantwortungs- und risikobewusst zu verhalten: Ein positives Testergebnis erfordert es, sich in Quarantäne zu begeben, weil der mögliche Schaden für andere hoch ist. In Panik verfallen muss man deshalb aber nicht.

Vor den Weihnachtsfeiertagen stellte sich die Frage: Soll man sich vorsorglich testen lassen, wenn man keine Symptome hat – oder lieber nicht, weil die Testergebnisse nicht „sicher“ sind? Der Test verringert in jedem Fall die Unsicherheit, mit der die Frage „bin ich infiziert“ beantwortet werden kann. Dies gilt – wie oben beschrieben – vor allem für Menschen mit einem negativen Testergebnis.

Für die Entscheidungsfindung, ob man im Rahmen der aktuell bestehenden Kontaktbeschränkungen Familie und Freunde treffen können sollte, kann ein Test deshalb durchaus ein weiterer Mosaikstein sein. Aber er kann einem nicht die Verantwortung für das eigene Verhalten abnehmen. Zumal eine Infektion auch noch nach einem negativen Test auftreten kann, wenn die Ansteckung erst wenige Tage zurückliegt.

Quelle: RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung