Infolge der COVID-19-Pandemie gibt es in Krankenhäusern Patienten, die eine invasive mechanische Beatmung benötigen. Die mechanische Beatmung kann im Falle eines Atemversagens lebensrettend wirken, hat aber auch negative Auswirkungen, insbesondere wenn sie über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden muss.
Beatmungsgeräte verwenden Überdruck, um Luft in die Lungen zu pressen, so dass der Hauptatemmuskel, das Zwerchfell, nicht mehr beansprucht wird. Das Zwerchfell ist eine aus Muskeln und Sehnen bestehende Platte, die den Brustraum vom Bauchraum trennt. Bei der invasiven Beatmung führen der Überdruck und die dabei erforderliche künstliche Ruhigstellung der Patienten dazu, dass das Zwerchfell schnell an Kraft verliert. Das nennen die Ärzte eine beatmungsinduzierte Zwerchfellfunktionsstörung. Insgesamt können folgende Schäden können durch eine invasive Beatmung auftreten:
· Der nicht mehr arbeiten müssende Zwerchfellmuskel schrumpft (sog. durch ein Beatmungsgerät induzierte Zwerchfelldysfunktion; englisch: ventilator induced diaphragm dysfunction = VIDD).
· Künstlich beatmete Patienten sind einem hohen Risiko für nosokomiale (im Krankenhaus erworbene) Bakterien- und Pilzinfektionen ausgesetzt.
· Die Überdruckbeatmung kann die Lunge schädigen (beatmungsinduzierte Lungenschädigung; ventilator induced lung injury = VILI) und zu einer Lungenentzündung führen (ventilatorassociated pneumonia = VAP).
· Wenn die mechanische Beatmung für einen längeren Zeitraum fortgesetzt werden muss, kann je nach Verletzung oder Krankheit kann eine Tracheostomie (Eröffnung der Luftröhre durch einen Schnitt im Halsbereich) erforderlich werden.
Aus diesen Gründen ist eine nicht-invasive Beatmung einer invasiven Beatmung so lange wie möglich vorzuziehen. VIDD, VILI und VAP sind außerdem Schlüsselfaktoren für häufig auftretende Schwierigkeiten beim Entwöhnen von Patienten vom Beatmungsgerät. Wenn ein Patient von künstlicher Beatmung abhängig wird, erhöht sich das Risiko, auf der Intensivstation zu sterben, um das 7-fache.
- Ungefähr 31 % der invasiv beatmeten Patienten werden als „schwer entwöhnbar“ eingestuft, wenn sie einen oder mehrere Spontanatmungsversuche nicht bestehen oder innerhalb von 48 Stunden nach der Extubation erneut intubiert werden müssen.
- Etwa 35 % der künstlich beatmeten Patienten benötigen verlängerte Entwöhnungszeiten von mehr als 96 Stunden, und mehr als 20 % sind nach 7 Tagen immer noch maschinell beatmet. Diese Patienten verursachen die höchsten Kosten im Krankenhaus.
Eine spezielle Methode zur Entwöhnung vom Beatmungsgerät - eine Art Lungenschrittmacher - wurde nun an der Klinik für Innere Medizin an der Universitätsmedizin Greifswald getestet: Das sog. Lungpacer-System ist eine spezielle Zwerchfellstimulationstherapie, die im Rahmen einer internationalen multizentrischen Studie mit Erfolg zur Behandlung eines COVID-19-Patienten eingesetzt wurde.
„Die erste Patientin, die in dieser Studie behandelt wurde, war zufällig eine Frau, die COVID-19 überlebte, aber nicht in der Lage war, von der maschinellen Beatmung entwöhnt zu werden“, berichtet Prof. Dr. Ralf Ewert, Leiter des Bereichs Pneumologie, Infektiologie und Weaningzentrum an der Unimedizin Greifswald. „Mit dem neuen Verfahren konnten wir diese über 65 Jahre alte Patientin, die bereits 38 Tage invasiv beatmet worden war, zeitnah in eine eigenständige Atmung zurückbegleiten. Insgesamt haben wir nun vier Patienten in die Studie aufgenommen und freuen uns, unsere Ergebnisse für diese vielversprechende Technologie beisteuern zu können“, so der Greifswalder Pneumologe und Beatmungsspezialist.
Das sogenannte Lungpacer-System eines kanadischen Medizintechnikunternehmens ist eine neuartige Technologie, die das Zwerchfell während der mechanischen Beatmung stimuliert und den geschwächten Muskel stärkt, um die Entwöhnung vom Beatmungsgerät zu unterstützen. Die Unimedizin Greifswald ist das erste Krankenhaus in Deutschland, das an der sogenannten RESCUE-3-Studie teilnimmt, um das neue Verfahren auf seine Wirksamkeit zu überprüfen. Die 2019 gestartete RESCUE-3-Studie wird bis zu 376 Probanden umfassen und an bis zu 80 Standorten in den USA und der EU durchgeführt. Weitere Informationen unter http://www.lungpacer.com .
Das Lungpacer-System ist derzeit in Deutschland nur im Rahmen von Studien verfügbar und ist so konzipiert, dass es in die Routineversorgung von Patienten mit invasiver mechanischer Beatmung integriert werden kann. Das System verwendet einen LIVE-Katheter, ähnlich wie die zentralen Venenkatheter, die bei den meisten beatmeten Patienten eingesetzt werden. Dieser Katheter kann sowohl Flüssigkeit und Medikamente abgeben, als auch das Zwerchfell und die Zwerchfellnerven stimulieren, um den Muskel zur Unterstützung der Entwöhnung zu trainieren. Die Lungpacer-Steuereinheit ist eine mobile, tragbare Einheit, die mit dem Katheter und dem Zwischenkabel verwendet wird, um eine vorübergehende Zwerchfellneurostimulation bereitzustellen.
Quelle: Universität Greifswald