Lungenärzte im Netz

Ihre Experten für gesunde Atemwege

Herausgeber:

Die Coronavirus-Vermehrung aus unterkühlter Sicht

Neue Erkenntnisse über SARS-CoV-2 und seine effektive Vervielfältigung in den Wirtszellen bieten Untersuchungen mit der Kryo-Elektronentomografie, die am Universitätsklinikum Heidelberg durchgeführt wurden.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist seit Anfang 2020 als Auslöser der COVID-19-Pandemie bekannt. Seitdem arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Nachdruck an der Frage, wie das Virus die infizierten Zellen verändert, um eine effektive Vermehrung zu erreichen. Jetzt haben Forschende des Zentrums für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg die Struktur und Vervielfältigung des Coronavirus SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) mit Hilfe von Kryo-Elektronentomografie untersucht. Sie konnten durch detaillierte molekulare Analysen der viralen RNA die vom Virus hervorgerufenen Veränderungen an zellulären Membranen und Organellen beschreiben, die für seine effektive Vervielfältigung entscheidend sind (siehe Nature Communications, Online-Veröffentlichung am 18.11.2020).

 „Unsere Gruppe untersucht schon länger molekulare Strukturen im Zusammenhang mit Virusinfektionen wie Influenza A und Ebola. Dank unserer Expertise in hochauflösender Kryo-Elektronentomografie, der exzellenten Mikroskope und der guten Zusammenarbeit am Zentrum für Infektiologie konnten wir gleich zu Beginn der Corona-Pandemie mit detaillierten molekularen Untersuchungen zu SARS-CoV-2 starten“, berichtet Dr. Petr Chlanda, Forschungsgruppenleiter in der Abteilung Virologie des Zentrums für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg.

Wie auch andere Mitglieder der Familie der Coronaviren, beispielsweise SARS-CoV-1 und MERS-CoV, vermehrt sich SARS-CoV-2 im Zellinneren der infizierten Zellen und baut diese hierfür um. Die Viren veranlassen die Bildung sogenannter Replikationsorganellen, das heißt von einer Doppelmembran umgebene Kammern, die für die effektive Vervielfältigung des Virusgenoms eingesetzt werden. Mittels Virusproteinen, sogenannten viralen Ribonukleoproteinen (vRNPs), wird das Virusgenom dann im Cytosol (der „Zellflüssigkeit“) verpackt. Dabei bilden die vRNPs zylindrische Komplexe, in denen die ungewöhnlich lange RNA des Virusgenoms verstaut werden kann. Die Replikationsorganellen liegen in Nachbarschaft zum Golgi-Apparat der Zellen, über den die neugebildeten Viren aus den Zellen ausgeschleust werden.

Die Doppelmembran der Replikationsorganellen wird sehr schnell nach Infektion der Zellen aus Membranen des Endoplasmatischen Retikulums gebildet, einem Kanalsystem, das die Zellen auch ohne Virusinfektion zur Proteinsynthese nutzen. Durch deren Umbau hat die virale RNA einen eigenen Raum, in dem notwendige Faktoren für ihre Replikation konzentriert sind und die Vermehrung sehr schnell ablaufen kann. „Die Bildung der Replikationsorganellen bietet dem Virus aber nicht nur optimale Bedingungen zur Vervielfältigung des viralen Genoms, sondern möglicherweise auch Schutz vor Angriffen durch das Immunsystem“, meint Petr Chlanda.

Für die Untersuchungen nutzen die Heidelberger Wissenschaftler virus-infizierte Zelllinien eines Partnerlabors der Abteilung. Die infizierten Zellen werden unter Beachtung der Biosicherheit im S3-Labor chemisch inaktiviert und schockgefroren, sodass die Analysen an quasi-unveränderten, aber nicht infektiösen Viruspartikeln durchgeführt werden können. Damit lassen sich Analysen gefahrlos durchführen und zeigen trotzdem den realistischen Zustand der Viren, was bei anderer Behandlung der Proben nicht unbedingt der Fall wäre.

Mithilfe von Kryo-Elektronentomografie und Einsatz eines fokussierten Ionenstrahls (FIB, focussed ion beam) lassen sich 200 Nanometer dünne Schichten der virus-infizierten Zellen untersuchen und anhand von Bildverarbeitung 3D-Bilder rekonstruieren. Damit können Strukturen mit höchster Auflösung und Präzision auf molekularer Ebene untersucht werden. Neben der aktuellen Veröffentlichung in „Nature Communications“ wurde ein Video der Arbeitsgruppe zur Knospung der Viren in einem Online-Artikel der „New York Times" veröffentlicht: https://www.nytimes.com/interactive/2020/health/coronavirus-unveiled.html

Chlandas Arbeitsgruppe ist Teil des vor rund zwei Jahren etablierten Netzwerks „Cryo-EM Network of Heidelberg University“, in dem Kryo-Elektronenmikroskope institutsübergreifend genutzt werden können. „Im Netzwerk wollen wir durch Kooperation die Kompetenzen der Universität Heidelberg stärken und die Studentenausbildung in Kryo-Elektronentomografie verbessern“, erklärt Dr. Petr Chlanda.

Eine der weiterführenden Fragen der Forschenden wird sein, welche Proteine genau an der Bildung der Doppelmembranstrukturen beteiligt sind. „Wenn dies besser verstanden wird, ließen sich hier möglicherweise Ansatzpunkte zur therapeutischen Intervention finden“, erläutert Petr Chlanda. Seine Arbeiten sind komplementär zu Analysen des kooperierenden Labors von Prof. Dr. Ralf Bartenschlager (Leiter der Abteilung Molekulare Virologie am Zentrum für Infektiologie). Dieser nutzt als bildgebende Methode unter anderem die Elektronenmikroskopie und veröffentlichte aktuell in der Fachzeitschrift „Cell Host & Microbe" Ergebnisse zur Frage, wie das Virus und die infizierte Zelle (der Wirt) miteinander interagieren und welche großen zellulären Veränderungen hierdurch auftreten. Beide Arbeiten zeigen auf ihre Weise und mit unterschiedlichen Methoden, wie sich das Virus in der Zelle vermehrt, bevor es zur weiteren Verbreitung freigesetzt wird.

Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg