Bestimmte Lungentumoren – so genannte nicht-kleinzellige Lungenkarzinome - machen sich einen natürlichen Schutzmechanismus aus der Schwangerschaft zunutze, wie Wissenschaftler der Sektion Translationale Forschung aus der Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg gezeigt haben (siehe Clinical Cancer Research 2015, Band 21, Seite 3529). Zu Beginn der Schwangerschaft schützt das Protein Glycodelin den Embryo – den das Immunsystem der Mutter ansonsten als körperfremd attackieren würde – vor einer Abstoßung. Nicht-kleinzellige Lungenkarzinome und deren Absiedlungen in anderen Organen schütten – bei Frauen und Männern – ebenfalls Glycodelin aus und unterdrücken damit wahrscheinlich in ihrer unmittelbaren Umgebung Abwehrreaktionen des Immunsystems. Das Heidelberger Team zeigte außerdem: Das Protein ist im Blut nachweisbar und könnte sich als Biomarker für die Früherkennung und Verlaufskontrolle eignen. „Das Immunsystem spielt in den letzten Jahren eine immer größere Rolle bei der Bekämpfung von Lungenkrebs. Man versucht herauszufinden, über welche Mechanismen die Tumorzellen das Immunsystem beeinflussen und ob man die Erkenntnisse daraus für Diagnostik und Therapie nutzen kann“, erklärt Dr. Michael Meister, Leiter der Sektion Translationale Forschung und Seniorautor der Publikation.
Bisher war lediglich bekannt, dass nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome das Glycodelin bilden, weitere Untersuchungen standen noch aus. „Wir vermuten, dass die Krebszellen Glycodelin ausschütten, um Immunzellen in ihrer direkten Umgebung zu betäuben. Diese können so keine Abwehrreaktion einleiten“, berichtet Meister. Hinderten die Wissenschaftler die Tumorzellen im Labor daran, das Protein herzustellen, bildeten diese stattdessen andere Proteine, die das Immunsystem beeinflussen.
Die Heidelberger Lungenspezialisten verglichen außerdem erstmals den Glycodelin-Spiegel in konservierten Blutproben von mehr als 25 Patienten mit deren Krankheitsverlauf. „Die Konzentration von Glycodelin im Blut korrelierte sehr gut mit dem Therapieansprechen oder dem Fortschreiten der Erkrankung“, betont Dr. Marc Schneider, Erstautor der Arbeit. Schlug eine Chemotherapie an oder wurde der Tumor entfernt, sank der Glycodelinspiegel. Wuchs der Tumor weiter oder bildeten sich im späteren Verlauf Absiedlungen, stieg die Konzentration an. Das Team konnte für diese Untersuchungen auf eine große Anzahl von Blut- und Gewebeproben von Patienten mit Lungentumoren zurückgreifen, dank der engen Zusammenarbeit mit dem Pathologischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg und der seit 15 Jahren bestehenden Lungenbiobank Heidelberg.
Bestätigt sich der beobachtete Zusammenhang in weiteren, bereits angelaufenen Studien, könnte das Protein als leicht zu testender Biomarker in der Früherkennung und Verlaufskontrolle speziell beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom eingesetzt werden. Regelmäßige Kontrollen des Glycodelin-Spiegels könnten zusammen mit weiteren Untersuchungen den Ärzten dabei helfen, auf ein Fortschreiten der Erkrankung schnell zu reagieren und die Therapie anzupassen. In künftigen Studien müsse außerdem geklärt werden, ob Glycodelin sich als mögliches Ziel für die Therapie beim Nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom eignet.
Rund 52.000 Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr an Lungenkrebs. Der Tumor verursacht im frühen Stadium in der Regel keine Beschwerden und wird daher häufig erst spät entdeckt. Die Prognose ist entsprechend schlecht: Die ersten fünf Jahre nach Diagnose und Behandlung überlebt nur etwa jeder fünfte Patient. Insgesamt sterben jährlich mehr als 43.000 Menschen an dieser Krebserkrankung, die bei den meisten vermeidbar gewesen wäre. Hauptrisikofaktor ist das Rauchen.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg