Mikroben auf dem Bauernhof schützen Kinder vor Asthma und Allergien, das ist bekannt. Aber auch nicht-mikrobielle Moleküle scheinen einen schützenden Effekt zu haben: Immunologen der Universität Zürich zeigen, dass eine Sialinsäure, die in Bauernhoftieren vorkommt, gegen Entzündungen des Lungengewebes wirkt (siehe Journal of Allergy and Clinical Immunology, Online-Veröffentlichung am 16.6.2017). Das könnte neue Perspektiven für die Allergieprävention eröffnen.
Immer mehr Menschen leiden an Allergien und Asthma, in den letzten Jahrzehnten haben diese Krankheiten in den industrialisierten Ländern massiv zugenommen. Heute sind rund 30 Prozent der Kinder von mindestens einer Allergie betroffen – mit Ausnahme von Bauernkindern. Bei ihnen verläuft die Zunahme der Erkrankungen weniger dramatisch als bei ihren Kameraden, die zwar im gleichen Dorf, aber nicht auf einem Bauernhof leben. Man weiß, dass Mikroben, die auf Bauernhöfen in größerer Menge und höherer Diversität vorkommen, die Bauernkinder vor Allergien und Asthma schützen. Eine nicht hoch hygienische Umgebung wirkt positiv auf die Entwicklung des Immunsystems, da dieses lernt, auf an sich harmlose Stoffe nicht zu reagieren, wie dies bei einer Allergie der Fall ist.
Offenbar haben aber nicht nur Mikroben einen schützenden Effekt vor Asthma, sondern auch die Tiere auf dem Bauernhof: Das Streicheln von Katz und Kuh sowie der Schluck Milch direkt ab Hof können ebenfalls Asthma vorbeugen, wie das Forschungsteam rund um Remo Frei vom Schweizerischen Institut für Allergie- und Asthmaforschung der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem Center for Allergy Research and Education (CK-CARE) in Davos und des Kinderspitals St. Gallen zeigt: „Der frühkindliche Kontakt zu Tieren und auch der Verzehr von tierischen Nahrungsmitteln scheint die Entzündungsreaktionen des Immunsystems zu regulieren“, erläutert Immunologe Frei. Seine Studie zeigt, dass dafür ein nicht-mikrobieller Stoff, eine Sialinsäure, verantwortlich ist, die in Wirbeltieren – also in vielen Bauernhoftieren – verbreitet vorkommt, im menschlichen Organismus jedoch fehlt: die N-Glykolylneuraminsäure (Neu5Gc).
Menschen bilden aufgrund einer genetischen Mutation kein Neu5Gc. Sie können die Sialinsäure aber über Tierkontakt oder auch über das Essen von tierischen Lebensmitteln aufnehmen und in ihre Glykoproteine einbauen. Der Kontakt mit Neu5Gc löst im Menschen eine Antikörperreaktion aus, die als Maß für den Kontakt mit Neu5Gc, also für den Kontakt Bauernhoftieren dienen kann. Die Forschenden um Remo Frei haben die Konzentrationen von Neu5Gc-Antikörpern in Serum-Proben von Kindern gemessen, die im Rahmen zweier epidemiologischen Studien (PARSIFAL- und PASTURE-Studie) gesammelt worden waren.
Der Vergleich der Neu5Gc-Antikörper-Konzentrationen von über tausend Kindern und dem Vorkommen von Asthma zeigte eindeutig: „Bauernkinder wiesen viel mehr Antikörper gegen Neu5Gc im Blut auf – und Kinder mit mehr Antikörpern litten wesentlich seltener an Asthma“, so Frei. Die positive Wirkung der Sialinsäure Neu5Gc auf die Atemwege wurde am Mausmodell bestätigt: Über die Nahrung aufgenommene Neu5Gc-Moleküle verbesserten die Lungenfunktion der Mäuse und reduzierten somit deren Symptome von Asthma.
Um den Mechanismus zu verstehen, wie Neu5Gc auf das menschliche Immunsystem wirkt, analysierten die Forschenden verschiedene Zellen des Immunsystems, die bei einer entzündlichen Reaktion eine Rolle spielen. Mit interessantem Resultat – sowohl bei den untersuchten Kindern als auch am Tiermodell: Der Kontakt mit Neu5Gc reduziert nicht die Immunglobuline E, also die Antikörper, die bei allergischen Reaktionen verstärkt auftreten. Stattdessen wird eine antientzündliche Reaktion des Immunsystems angestoßen. „Das geschieht über sogenannte regulatorische T-Zellen, die stärker präsent sind. Diese T-Zellen dämpfen Fehlreaktionen des Immunsystems und wirken stark antientzündlich“, berichtet Frei. „Unsere Forschungsresultate eröffnen Möglichkeiten, wie der schützende Effekt des Bauernhofs auf alle Kinder übertragen werden könnte“, fasst Remo Frei zusammen. Damit könne seiner Meinung nach womöglich ein neuer Grundstein für eine wirksame Allergieprävention gelegt werden.
Quelle: Universität Zürich