Der natürliche Atemantrieb des Menschen – gewöhnlich beobachtbar durch ein unwillkürlich einsetzendes, regelmäßiges Ein- und Ausatmen - soll für eine hinreichende Sauerstoff- versorgung des gesamten Organismus sorgen. „Der Drang zu atmen wird dabei aber nicht direkt über den Sauerstoffgehalt im Blut gesteuert, sondern über eine Regulierung des Kohlendioxid- gehaltes“, erläutert Prof. Dieter Köhler vom wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Berlin. „Wenn der CO2-Partialdruck im Blut ansteigt und der Kohlenstoffdioxid-Gehalt im Blut einen gewissen Schwellenwert übersteigt, führt dies zu einem verstärkten Atemreiz. Durch Steigerung der Atemfrequenz, also der Anzahl Atemzüge pro Minute, wird dann eine vermehrte Abatmung von Kohlendioxid erreicht und somit dessen Verminderung im Blut bewirkt. Bewerkstelligt wird diese Steuerung durch Chemorezeptoren in den Blutgefäßen, die vorrangig den Kohlenstoffdioxid-Gehalt des Blutes (weniger dessen Sauerstoffgehalt) an das Atemzentrum im verlängerten Rückenmark melden, welches daraufhin über efferente Nervenbahnen die Atemmuskulatur (Zwerchfell) verstärkt aktiviert.“
Fehlende Atmungskontrolle erfordert Beatmung während des NachtschlafsDiese normale autonome Atmungskontrolle funktioniert bei Patienten, die unter dem so genannten kongenitalen zentralen Hypoventilationssyndrom (Congenital Central Hypoventilation Syndrome = CCHS) oder Undine-Syndrom leiden, allerdings nicht. „Bei diesen Patienten ist die Empfindlichkeit der Chemorezeptoren für Kohlendioxid aufgrund eines Gendefekts (infolge verschiedener Mutationen im PHOX2B-Gen auf Chromosom 4) stark vermindert“, erklärt Prof. Köhler. „Infolgedessen zeigen Menschen, die an dieser seltenen, angeborenen Erkrankung des zentralen Nervensystems leiden, nur eine sehr eingeschränkte Atemantwort, sobald die Sauerstoffsättigung des Blutes absinkt (Hypoxämie) oder es zu einem Kohlendioxidanstieg im Blut (Hyperkapnie) kommt. Insbesondere im Schlaf und bei zusätzlichen Erkrankungen ist die Atemantwort sogar so weit verringert, dass die meisten Patienten zumindest während des Schlafens beatmet werden müssen. Im Wachzustand hingegen können viele der Patienten wenn auch oberflächlich, so doch meist noch genügend atmen.“
Neben Kindern auch Erwachsene betroffenDa die Erkrankung an einem kongenitalen zentralen Hypoventilationssyndrom oft schon direkt nach der Geburt auftritt, sind überwiegend Kinder betroffen. „Allerdings gibt es auch spätere Manifestationen in Form eines late onset - CCHS, die mit schwerer Schlafapnoe, Beatmungsproblemen im Rahmen von Narkosen oder fortgesetzter Beatmungsabhängigkeit nach Lungeninfektionen verbunden sein können, wobei in Deutschland schätzungsweise 50-100 solcher Fälle vorkommen dürften“, bekräftigt Köhler. „Unter den Kindern mit Undine-Syndrom weisen etwa 25 % zusätzlich das Krankheitsbild des so genannten Morbus Hirschsprung, einer angeborenen Fehlbildung des Darmes, auf. Darüber hinaus können sich selten auch noch weitere, zusätzliche Erkrankungen entwickeln, die Augen, Ohren, Gehirn (in Form von Krampfanfällen), die Neuralleiste (als Tumor in Form eines Neuroblastoms) oder das Herz (mit Herzrhythmusstörungen, Rechtsherzinsuffizienz u.ä.) betreffen. Etwa 17 % der Kinder mit Undine-Syndrom atmen auch während des Wachzustandes ungenügend, sodass sie 24 Stunden am Tag beatmet werden müssen. Manche dieser Kinder können aber mit einem Zwerchfell-Schrittmacher versorgt werden, was ihnen eine mobilere Lebensweise und dadurch mehr Lebensqualität ermöglicht.“
Frühzeitige Diagnose kann die Lebensqualität der Patienten nachhaltig verbessernDank innovativer Entwicklungen in der Beatmungsmedizin und moderner Überwachungsmöglichkeiten im häuslichen Bereich können heutzutage viele Kinder trotz ihres Undine-Syndroms normale schulische Leistungen erbringen, später auch arbeiten und selber Kinder haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Erkrankung möglichst frühzeitig diagnostiziert wird und dass die betroffenen Eltern und Betreuer mit aktuellen Informationen und modernen Geräten zur Sicherstellung eines normalen Gasaustausches versorgt werden.
Aktuelle Diagnose- und Therapiemöglichkeiten längst nicht allen Ärzten bekanntDa die jetzigen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten des CCHS erst seit relativ kurzer Zeit zur Verfügung stehen, dürften sie – auch angesichts der ausgeprägten Seltenheit des Syndroms – längst noch nicht allen Ärzten bekannt und vertraut sein. Um die Gesundheitsversorgung von Patienten mit zentralen Hypoventilationssyndromen europaweit zu optimieren, wird jetzt eine von der Europäischen Union finanzierte Studie gestartet, die sich zum Ziel gesetzt hat, aktualisierte CCHS-Diagnose- und Therapieleitlinien für Mediziner zu erstellen. Dazu sollen mit Hilfe eines zentralen Registers die Häufigkeit der Erkrankung pro Altersklasse und Geschlecht, das klinische Spektrum sowie die existierenden diagnostischen und therapeutischen Konzepte evaluiert werden. Die gewonnen Informationen über die zentralen Hypoventilationssyndrome sollen außerdem im Internet und in Informationsbroschüren veröffentlicht werden.
Erwachsene Patienten dringend für EU-Studie gesuchtWegen der ausgeprägten Seltenheit der CCHS wird der Erfolg dieser Studie wesentlich von einer möglichst vollständigen Erfassung der betroffenen Patienten abhängen. Ärzte, die Patienten mit einem zentralen Hypoventilationssyndrom betreuen, werden daher gebeten, mit der Kinderklinik Dritter Orden in München als Studienzentrum für den deutschsprachigen Raum Kontakt aufzunehmen. Dort wurden mittlerweile 60 Patienten aus Deutschland registriert. Da genaue Daten über die Zahl aller Patienten in Europa nicht vorhanden sind und es vermutlich eine hohe Dunkelziffer durch die Patienten mit late onset CCHS gibt, werden noch weitere potenzielle Teilnehmer gesucht. „Die Aussage der Studie hängt von jedem einzelnen registrierten Patienten ab“, betont Prof. Dr. Jochen Peters, Chefarzt der Pädiatrie am Klinikum Dritter Orden in München. „Deshalb ist es uns sehr wichtig, möglichst viele Ärzte, die im Bereich Pneumologie, Pädiatrie, Schlafmedizin, Anästhesiologie und/oder Intensivmedizin tätig sind, über das Studienvorhaben zu informieren und über den dringenden Bedarf an weiteren Studienteilnehmern in Kenntnis zu setzen. Wer Patienten mit CCHS kennt, sollte uns bitte benachrichtigen.“
Kontaktadresse:
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Dritter Orden
Chefarzt Prof. Dr. J. Peters
Menzingerstr. 44,
80638 München
Tel 089/1795-2601
Fax 089/1795-2603
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