Jährlich erkranken 33.000 Patienten in Deutschland an einem Lungenkarzinom. Während bei Männern die Neuerkrankungsrate aufgrund von erfolgreichen Rauchverzichtprogrammen in den letzten Jahren rückläufig war, steigt die Lungenkrebsshäufigkeit bei Frauen weiterhin leicht an. Aufgrund fehlender Frühanzeichen für Lungenkrebs werden die meisten Patienten erst in einem nicht mehr operablen, fortgeschrittenen oder metastasierten Stadium diagnostiziert. Bisherige Untersuchungen zur Früherkennung konnten keinen Nutzen beispielsweise für regelmäßige Röntgen- oder Sputumuntersuchungen belegen. Gegenwärtig prüfen große randomisierte internationale Studien den Einfluss von regelmäßigen, so genannten „Low-Dose“-Computertomographien auf die Früherkennungsrate von Lungenkarzinomen und auf die Sterblichkeit.
Grundsätzlich erfolgt die Behandlung eines Lungenkarzinoms in Abhängigkeit vom Stadium der Erkrankung und von der Herz-Lungen-Leistungsfähigkeit des Patienten unter Beteiligung der Chirurgie, Strahlentherapie und pneumologischen Onkologie. Neben einer rasanten Entwicklung der medikamentösen Therapie in den letzten Jahren sind die interdisziplinäre Festlegung von diagnostischen und therapeutischen Algorithmen und die kontrollierte Umsetzung dieser Algorithmen in den klinischen Alltag wichtige Themen, mit denen sich die pneumologische Onkologie aktuell auseinandersetzt.
Fortschritte in der feinanalytischen Untersuchung von Geweben (Histologie)
In der Vergangenheit wurde das Lungenkarzinom therapeutisch unterteilt in non-small-cell lung cancer (NSCLC) und small cell lung cancer (SCLC). Aktuelle Untersuchungen haben nun gezeigt, dass das Medikament Pemetrexed (ein modernes Antifolat) innerhalb der Gruppe von Patienten mit einem NSCLC eine unterschiedliche Wirksamkeit aufweist. Patienten mit einem nicht-plattenepithelialen nichtkleinzelligem Lungenkarzinom profitierten mehr von Pemetrexed im Gegensatz zu Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom (G. Scagliotti, J Clin Oncol 2008; T. Ciuleano, Lancet 2009). Die genaue Bestimmung der Histologie gewinnt therapeutisch also an Bedeutung, was sich auch niedergeschlagen hat in der Einrichtung einer interdisziplinären AG Pneumopathologie mit Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und der DGP.
Behandlungsvorteil von Patienten mit EGFR-Mutation
Nach den positiven Ergebnissen der BR.21 Studie (F. Shepherd, NEJM 2005) hat sich die
Behandlung mit „Epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor“ (EGFR) Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) Erlotinib bei vorbehandelten Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC etabliert. Eine aktuelle Studie aus Asien, die den EGFR-TKI Gefitinib im Vergleich zu einer Standardchemotherapie bei ausgewählten Patienten überprüfte, hat eine bessere Wirksamkeit des Gefitinibs aufgezeigt (T. Mok, NEJM 2009). Außerdem wurde eine Mutation des EGFR
Identifiziert, die dazu dienen kann, die individuelle Wirksamkeit von Gefitinib besser vorherzusagen (Fukuoka, ASCO 2009). Bestätigt wurden diese Ergebnisse bei kaukasischen Patienten in einer spanischen Screeningstudie: So wurde bei Patienten mit EGFR-Mutation unter Therapie mit dem EGFR-TKI Erlotinib eine mediane progressionsfreie Überlebenszeit von 14 Monaten und eine mediane Überlebenszeit von 27 Monaten beobachtet (Rossell, NEJM 2009). Vergleichbare Ergebnisse bei kaukasischen Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom sind bisher nicht berichtet worden. Seitdem Gefitinib für die Behndlung von Patienten mit EGFR-Mutation zugelassen wurde, hat die Gewinnung von Tumormaterial zur Untersuchung auf das Vorliegen einer EGFRMutation in der Klinik an zunehmender Bedeutung gewonnen.
Therapieansätze zur Hemmung der Blutversorgung von Tumoren
Für ein relevantes Tumorwachstum ist eine ausreichende eigene Blutgefäßversorgung erforderlich (J. Folkmann, NEJM 1971). Unter den zahlreichen Ansätzen in der zielgerichteten Therapie werden daher antiangiogene Therapeutika (die gegen das Wachstum von Blutgefäßen zur Tumorversorgung gerichtet sind) besonders intensiv beim Lungenkarzinom geprüft. Von besonderem Interesse ist derzeit z.B. die Hemmung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF). Der VEGF-Antikörper Bevacizumab in
Kombination mit Chemotherapie hat bereits in zwei randomisierten Phase III Studien zu einer signifikanten Verbesserung der Ansprechrate und der progressionsfreien Überlebenszeit geführt sowie in einer Studie zu einer Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit (A. Sandler, NEJM 2006; M. Reck, J Clin Oncol 2009). Gegenwärtige Studienkonzepte prüfen die Wirksamkeit von Anti-VEGF TKI in verschiedenen Therapielinien, die Bedeutung von angiogenen Markern zur Vorhersage der Therapiewirksamkeit sowie neue Medikamente in der gefäßaktiven Therapie wie z.B. „Vascular Disrupting Agent“ (VDA) ASA404.
Interdisziplinäre S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Bronchialkarzinoms
In Anbetracht der rasch anwachsenden Datenfülle und der vielfältigen neuen diagnostischen und therapeutischen Verfahren wurde in den letzten Jahren unter Beteiligung sämtlicher in Deutschland maßgeblichen diagnostischen und therapeutischen Gesellschaften nach Sichtung der existierenden Literatur eine gemeinsame S3 Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Lungenkarzinoms erarbeitet. Der Prozess der Erstellung ist nun abgeschlossen und die Leitlinie wird in Kürze veröffentlicht werden. Für die Zukunft von großer Bedeutung ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Diagnostik und Therapie, die durch die Leitlinie klar widergespiegelt wird, genauso wie die Standardisierung, die anhand von Algorithmen anschaubar visualisiert wird. Aufgrund der rasanten Änderung der Datenlandschaft ist eine kurzfristige, regelmäßige Revision der Leitlinie unabdingbar.
Lungenkrebszentren
Um die Behandlungs- und Versorgungsqualität von Patienten mit einem Lungenkarzinom in
Deutschland zu sichern, ist neben der Entwicklung von gemeinsamen Diagnostik- und Therapiepfaden auch eine kontrollierte Dokumentation von Diagnostik und Therapie erforderlich. Unter dem Dach der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) haben die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG) mit Beteiligung der Sektion Pneumologische Onkologie und die Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie in einer gemeinsamen Initiative ein Zertifizierungsverfahren für Lungenkrebszentren entwickelt. Seit Sommer 2009 sind mittlerweile 11 Zentren als Lungenkrebszentren zertifiziert und von der DKG entsprechend anerkannt worden. Die Zertifizierung weiterer Zentren steht an, um flächendeckend eine optimale Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patienten sicherzustellen. Insgesamt hat sich die thorakale Onkologie durch vielfältige neue Therapieansätze und diagnostische Verfahren in den letzten Jahren rapide entwickelt. In der Zukunft wird es darum gehen, die Bedeutung dieser Ansätze für die Praxis zu prüfen und ggf. kontrolliert in der Klinik umzusetzen, wobei die individualisierte Behandlung das langfristige Ziel ist.