Das Lungenkrebs-Risiko wird bislang üblicherweise anhand der Raucherhistorie ermittelt. Deutlich präziser kann das Risiko eingeschätzt werden, wenn zusätzlich der Methylierungsstatus, also das Ausmaß der epigenetischen Änderungen (d.h. chemischen Veränderungen von bestimmten Genen) infolge des Tabakkonsums untersucht wird. Das berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) – siehe Cancer Communication, online seit 6.6.2023.
Ob Lungenkrebs frühzeitig entdeckt wird, ist entscheidend für die Überlebenschance der Betroffenen: Während 55 Prozent der Patienten mit einem Lungenkarzinom im Stadium I die ersten fünf Jahre nach der Diagnose überleben, sind es unter den Erkrankten mit Tumoren im fortgeschrittenen Stadium IV weniger als zehn Prozent.
Besonders starke Raucher haben ein hohes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Zahlreiche Studien haben bereits belegt, dass eine Mehrschicht-Computertomographie (CT) mit geringer Strahlendosis geeignet ist, Karzinome in der Lunge in frühen Stadien zu entdecken und damit bei starken Rauchern mit hohem Risiko die Lungenkrebs-Sterblichkeit um bis zu 30 Prozent zu senken.
„Doch solche Untersuchungen können auch schädliche Nebenwirkungen haben, etwa durch die psychische Belastung und unnötige Folge-Untersuchungen bei falsch positiven Befunden oder durch die Strahlenexposition“, erklärt Hermann Brenner, Epidemiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. „Deshalb wäre es sehr wünschenswert, die CT als Früherkennung noch gezielter denjenigen Personen anbieten zu können, die ein besonders hohes Risiko haben und die ganz besonders davon profitieren könnten.“
Das Team um Hermann Brenner hat daher in den letzten Jahren zahlreiche Biomarker untersucht, die mit Lungenkrebsrisiken in Verbindung stehen. Rauchen verursacht starke epigenetische Veränderungen am Erbgut, die auch zahlreiche Gene betreffen, die mit der Krebsentstehung in Verbindung stehen. Mehrere Untersuchungen haben bereits Hinweise darauf gegeben, dass die Methylierung der beiden Gene AHRR sowie F2RL3 mit einem gesteigerten Lungenkrebsrisiko in Zusammenhang steht.
Diese Hinweise konnte Erstautorin Megha Bhardwaj nun an den Daten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der sog ESTHER-Studie (Epidemiologische Studie zu Chancen der Verhütung, Früherkennung und optimierten Therapie chronischer Erkrankungen in der älteren Bevölkerung) bestätigen. Diese von Brenner geleitete und gemeinsam mit dem Saarländischen Krebsregister durchgeführte Kohortenstudie läuft bereits seit dem Jahr 2000. Für die aktuelle Auswertung berücksichtigte das Forscherteam die Daten von162 ESTHER-Probandinnen und -Probanden (Raucher oder ehemalige Raucher), die im Laufe der langjährigen Nachbeobachtung an Lungenkrebs erkrankten, sowie von 721 Studienteilnehmern (ebenfalls Raucher oder ehemalige Raucher), bei denen kein Lungenkrebs aufgetreten war.
Sowohl die AHRR-Methylierung als auch die F2RL3-Methylierung übertrafen die Aussagekraft der verschiedenen bisher eingesetzten Lungenkrebs-Risikomodelle, die allein auf der Erhebung der Rauchhistorie und weiterer Risikofaktoren der Probanden basierten. Die Kombination der Methylierungsanalyse mit den konventionellen Risikomodellen verbesserte die Aussagekraft noch weiter. Dies galt für alle Lungenkrebs-Arten, alle Altersgruppen und sowohl für ehemalige Raucher als auch für Teilnehmer, die zum Zeitpunkt der Diagnose noch rauchten.
Besonders entscheidend für die Betroffenen ist es, dass ein Risikomodell niemanden von der Früherkennung ausschließt, der später dennoch an Lungenkrebs erkrankt. Auch hinsichtlich dieses Kriteriums erwies sich die Methylierungsanalyse in Kombination mit den herkömmlichen Modellen zur Risikobewertung als hilfreich. Die Analyse der Methylierungsmarker in Kombination mit den verschiedenen Risikovorhersage-Modellen reduzierte die Anzahl der fälschlicherweise ausgeschlossenen Personen um bis zu 68 Prozent, ohne dabei die Rate falsch positiver Ergebnisse zu erhöhen.
„Die Identifizierung derjenigen Raucherinnen und Raucher, die am meisten von einer Früherkennung profitieren, ist eine der größten Herausforderungen bei der Implementierung eines solchen Lungenkrebs-Screeningprogramms“, erläutert Hermann Brenner. „Daher verfolgen wir mehrere Ansätze, um gezielte und effektive Screeningstrategien zu ermöglichen.“ So konnte sein Team bereits eine Risikoeinschätzung auf der Basis von Entzündungsmarkern und von microRNA Markern entwickeln.
„Wahrscheinlich wäre die beste Aussagekraft mit einer Kombination verschiedener Ansätze möglich“, erklärt Megha Bhardwaj. Damit solche Biomarker-Signaturen in der Praxis eingesetzt werden können, müssen sie nicht nur aussagekräftig, sondern auch kostengünstig sein und im Hochdurchsatzformat ermittelt werden können. Bis es so weit ist, sind noch einige Entwicklungsschritte nötig.
Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum