Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind bisher (Stand 8.9.06) 244 Menschen an einer Infektion mit dem H5N1-Virus der Vogelgrippe erkrankt. Davon entfielen 93 Patienten auf Vietnam, das damit weltweit das am stärksten betroffene Land darstellt. Mehr als die Hälfte (144 von 244 Patienten) starben, davon die meisten innerhalb von 10 Tagen an akutem Lungenversagen. Offenbar ist eine Infektion mit dem Erreger der Vogelgrippe für Menschen deshalb so gefährlich, weil sich das H5N1-Virus besonders schnell vermehrt und dabei eine besonders heftige Reaktion des Immunsystems auslöst. Das hat eine Gruppe von Medizinern um Menno de Jong in einer klinischen Forschungseinrichtung der University of Oxford im vietnamesischen Ho-Chi-Minh-City festgestellt, nachdem sie Blutproben und Gewebeproben von 18 Menschen untersucht haben, die sich in Vietnam mit dem gefährlichen Vogelgrippe-Virus H5N1 angesteckt hatten. 13 von ihnen sind an der Infektion gestorben, wie die Forscher in der Fachzeitschrift Nature (Online-Vorabveröffentlichung) berichten. Diese 18 H5N1-Fälle verglichen die Ärzte mit den Krankheitsverläufen von acht Menschen, die sich mit anderen Arten von Grippeviren angesteckt hatten. Im Gegensatz zu denjenigen Patienten, die eine Erkrankung an Vogelgrippe überlebt hatten und solchen, die von einer anderen Art von Grippeviren befallen worden waren, fanden sich bei vielen der Vogelgrippe-Todesopfer auffallend viele Erreger auch im Blut, was zum Beispiel bei der gewöhnlichen Grippe nicht der Fall ist. Außerdem habe sich das H5N1-Virus im Vergleich zu anderen Grippeviren in besonders großen Mengen im Rachenraum der Infizierten gefunden, was eine leichte Übertragbarkeit befürchten lässt. Aber auch im Darm der Betroffenen wurde Virusmaterial nachgewiesen, sodass auch über diesen Weg eine Übertragung möglich wäre.
Nach Schätzungen von de Jong ist die Vermehrungsrate von Vogelgrippeviren etwa hundertfach höher als beim gewöhnlichen Grippevirus. So kommt es nach einer Infektion zu einer regelrechten Überflutung mit „Vogelgrippevirus-Fremdstoffen“, die eine stark überschießende Immunreaktion im menschlichen Körper auslöst. Das führt einerseits aufgrund der heftigen Abwehrversuche zu einem starken Verbrauch und damit Rückgang der weißen Blutkörperchen (T-Lymphozyten ). Andererseits werden zur Abwehr zugleich auch eine Menge Botenstoffe ausgeschüttet. Einige dieser so genannten Zytokine könnten auch die Entwicklung eines akuten Atemversagens mit anstoßen, was eine entscheidende Rolle für den weiteren Verlauf der H5N1-Erkrankung spielen würde, vermuten die Wissenschaftler. An den Auswirkungen dieser Botenstoffe könnte es außerdem auch liegen, dass Medikamente gegen die gewöhnlichen Grippe-Viren das Fortschreiten einer Vogelgrippe-Erkrankung ab einem bestimmten Stadium nicht mehr aufhalten könnten. Um eine Vogelgrippe-Infektion effektiv zu bekämpfen, müsse man daher sowohl die Zahl der Viren als auch die massive Immunantwort des Körpers in den Griff bekommen.
Quelle: Nature, Online-Vorabveröffentlichung am 10.9.06,
Fachartikel-Identifikationsnummer: DOI: 10.1038/nm1477
Zusammenfassung (abstract)