Kommt es - wie bei einer Schocklunge oder einer anderen Form der Akuten Lungenverletzung (Acute Lung Injury, ALI) - zu massiven Entzündungsreaktionen im Lungengewebe, helfen Kortison-Präparate dabei, die entzündlichen Prozesse zu unterdrücken. Biologen der Universität Ulm haben nun herausgefunden, über welche molekulargenetischen Mechanismen Glucocorticoide wie Dexamethason ihre therapeutische Wirkung entfalten. Die Wissenschaftler machten dabei zwei erstaunliche Entdeckungen: Erstens wird die Kortisonwirkung über Makrophagen vermittelt, zweitens bedarf es zur Entfaltung der entzündungshemmenden Wirkung der Aktivierung von entzündungsfördernden (pro-entzündlichen) Signalwegen (siehe Nature Communications 2015, Band 6, Article Nr.: 7796).
Bei der Schocklunge - Mediziner sprechen auch von akutem progressivem Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) – führen Wassereinlagerungen zu Ödemen in der Lunge und damit zu Kurzatmigkeit und rasselnden Atemgeräuschen. Auslöser sind massive Entzündungsreaktionen, durch die Lungengewebe zerstört und der Gasaustausch behindert wird. Therapiert wird diese Lungenverletzung mit künstlicher Beatmung und der Gabe von entzündungshemmendem Kortison.
„Bei der Akuten Lungenverletzung kommt es zur massiven Infiltration der Lungenbläschen mit Leukozyten. Der Entzündungshemmer Kortison sorgt dafür, dass die Barrierefunktion der Gefäßinnenwand wiederhergestellt wird und keine Immunzellen mehr in den so genannten Alveolarraum eindringen können. Die Entzündungsreaktionen klingen ab“, erklärt Prof. Jan Tuckermann. Der Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere und seine Mitarbeiterin Dr. Sabine Vettorazzi machten bei ihren Beobachtungen zwei erstaunliche Entdeckungen. „Zum einen zeigte sich, dass die Wirkung des Kortisons über Makrophagen vermittelt wird. Die eigentlich als Fresszellen bekannten Immunzellen spielen damit eine Schlüsselrolle bei der Entzündungshemmung“, so Vettorazzi. „Für uns völlig überraschend stellte sich zudem heraus, dass hierbei Signalwege aktiviert werden, die bisher eigentlich für ihre pro-inflammatorische, also entzündungsfördernde, Wirkung bekannt waren“, berichten die Forscher.
Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern aus Jena, Göttingen, Hamburg, Lyon und Gent untersuchten die Wissenschaftler mit Hilfe von Knock-Out-Mäusen die zelltypspezifische Wirkung des so genannten Glucocorticoid-Rezeptors (GR), an den körpereigene oder künstliche Glucocorticoide wie das Kortisonpräparat Dexamethason binden. Dieser Rezeptor entfaltet – je nach Molekülform – unterschiedliche molekulargenetische Wirkungen: Als Einzelmolekül (Monomer) deaktiviert der Glucocorticoid-Rezeptor proentzündliche Genschalter (wie die Transkriptionsfaktoren AP1 und NF-?B) und als Doppelmolekül (Dimer) bindet der GR direkt an die DNA, um dort selbst Gene zu aktivieren.
Vettorazzi und Forscherkollegen fanden nun heraus, dass die therapeutische Wirkung des Rezeptors, die für die Entzündungshemmung verantwortlich ist, nicht ausschließlich wie bisher angenommen auf der eigentlich entzündungshemmenden Monomerfunktion des GR basiert, sondern dass auch die genaktivierende Wirkung des Rezeptordoppelmoleküls für die Unterdrückung entzündlicher Prozesse entscheidend ist.
Die Ulmer Hormonforscher konnten im Mausmodell nachweisen, dass durch die Gabe von Dexamethason – vermittelt über die Doppelmolekülfunktion des Rezeptors – in den Makrophagen ein Gewebshormon ausgeschüttet wird, das Wachstums-, Wanderungs- und Teilungsprozesse von Zellen fördert. Genauer gesagt geht es dabei um das sogenannte Sphingosin-1-Phosphat, das sich unter anderem stabilisierend auf die Gefäßinnenwände auswirkt. Bei einer Akuten Lungenverletzung, kommt es kortisonbedingt zu einem Anstieg von Sphingosin-1-Phosphat, was die Barrierefunktion der Gefäßinnenwand stärkt. Damit wird das Eindringen von Immunzellen (Leukozyten) in die Lungenbläschen verhindert, und die Entzündungsreaktionen klingen ab.
Der zweite erstaunliche Befund zeigte sich darin, dass das Gewebsreparaturhormon Sphingosin-1-Phosphat durch die Makrophagen nur dann ausgeschüttet wird, wenn – gleichzeitig zur Bindung des GR-Doppelmoleküls an die DNA – ein bestimmter proentzündlicher Signalweg stimuliert wird, an dem die Proteinkinasen p38 und MSK1 beteiligt sind. „Dass für die Hemmung von Entzündungen solche Signalkaskaden ausschlaggebend sind, die eigentlich inflammatorische Prozesse fördern, klingt ja eigentlich ein bisschen paradox. Doch für die Entwicklung wirksamer Kortisonpräparate ist diese neue Erkenntnis von großer Bedeutung. Denn bisher wurde dieser Aspekt in der pharmakologischen Forschung in keiner Weise berücksichtigt“, betont Jan Tuckermann.
Quelle: Universität Ulm