An Tuberkulose sterben auch heute noch jedes Jahr ein bis zwei Millionen Menschen weltweit. Jeder dritte Mensch infiziert sich mit dem Erreger der Krankheit. Die Infektion ist schwer einzudämmen, da zahlreiche mehrfach resistente Bakterienstämme auftreten. Über den Ursprung der Krankheit wurde lange diskutiert. Wissenschaftler nahmen bisher an, dass sich die Tuberkulose parallel zur Evolution des Menschen in Afrika entwickelte und vor Zehntausenden von Jahren über dessen Hauptwanderrouten ausbreitete. Heutige Tuberkulosestämme aus der Neuen Welt sind eng mit europäischen Formen verwandt. Dies ließ vermuten, dass die Bakterien über den Kontakt mit spanischen Eroberern nach Amerika kamen. Allerdings zeigen mehr als 1.000 Jahre alte Skelette und Mumien aus Nord- und Südamerika charakteristische Veränderungen am Knochen, die darauf hinweisen, dass die Infektion bereits mehrere hundert Jahre vor der Eroberung durch die Europäer aufgetreten sein muss.
Forscher um Prof. Johannes Krause vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen untersuchten zusammen mit Kollegen von der Arizona State University, dem britischen Wellcome Trust Sanger Institute und dem Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut drei mehr als 1.000 Jahre alte Tuberkuloseopfer aus Peru. Dabei analysierten sie das gesamte Genom der Krankheitserreger, die aus den sterblichen Überresten isoliert werden konnten. „Wir sind aufgrund der Veränderungen an diesen Skeletten und neueren molekularen Nachweisen davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Form der Tuberkulose handelte“, berichtet Jane Buikstra von der Arizona State University. „Wie jedoch diese älteren Tuberkulosestämme mit den aktuell auf dem amerikanischen Kontinent zirkulierenden Stämmen zusammenhängen, lag völlig im Dunkeln“, erklärt Anne Stone, Prof. der Anthropologie an der gleichen Universität.
Die Wissenschaftler stellten fest, dass die engsten Verwandten dieser alten Erregerstämme heute bei Robben und Seelöwen vorkommen (siehe Nature, Online-Vorabveröffentlichung am 20. August 2014). Außerdem ergaben ihre Analysen, dass die Tuberkulose in der Form, wie wir sie heute kennen, viel jünger sein könnte als ursprünglich angenommen. Sie trat möglicherweise erst vor etwa 6.000 Jahren auf. „Die Verwandtschaft zwischen den alten Erregern aus Menschen und den Bakterien in Seelöwen ergab sich völlig unerwartet“, kommentiert Sebastien Gagneux vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut die Ergebnisse. „Dieser Stamm löst heute bei Menschen noch Erkrankungen aus, aber er ist sehr selten und sicherlich nicht für die üblichen Tuberkuloseinfektionen beim Menschen verantwortlich.“
Prof. Johannes Krause von der Universität Tübingen, der auch Direktor am neuen Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften in Jena ist, erklärt, wie sich die Geschichte der Tuberkulosebakterien nun zusammenfügt: „Durch die Verbindung zu Robben und Seelöwen wird klar, wie an Säugetiere angepasste Krankheitserreger, die sich vor rund 6.000 Jahren in Afrika entwickelten, 5.000 Jahre später Peru erreichen konnten.“ Das wahrscheinlichste Szenario beginne mit der Übertragung der Tuberkulose von einem der zahlreichen Wirte in Afrika auf Robben, die den Ozean schwimmend überquerten. Da die Tiere vielfach von Menschen gejagt und gegessen wurden, kam es zur Ansteckung von Menschen in Südamerika und möglicherweise an anderen Orten. „Zu dieser Zeit existierte die Bering-Landbrücke zwischen Asien und Amerika seit einigen Tausend Jahren nicht mehr“, betont Krause: „Der Ozean war der direkteste Weg.“
Noch ist nicht bekannt, ob dieser Tuberkulosestamm auf das frühere Peru beschränkt war. Doch die genetischen Daten deuten darauf hin, dass er später vollkommen durch europäische Stämme ersetzt wurde. „Die Beziehung zwischen älteren Tuberkuloseformen und den heutigen Formen muss bei künftigen Forschungsarbeiten weiter geklärt werden“, meint Dr. Kirsten Bos, Wissenschaftlerin an der Universität Tübingen. „Die analytischen Methoden zur Bearbeitung alter DNA haben immense Fortschritte gemacht, so dass dieses Ziel in Reichweite gekommen ist."
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen