Auf den ersten Blick scheinen Lungenentzündungen (Pneumonie) und Schlaganfälle nicht viel gemeinsam zu haben. Allerdings können beide Erkrankungen lebensgefährlich oder aber einigermaßen glimpflich verlaufen. Und in beiden Fällen ist eine Prognose des weiteren Krankheitsverlaufs anhand von äußerlichen, klinischen Zeichen meist sehr schwierig. Ein genauerer Blick auf das Geschehen im Körperinneren tut daher Not. Welche körpereigenen Botenstoffe bei Lungenentzündungen oder Schlaganfällen frühzeitig Aussagen über den Krankheitsverlauf zulassen und somit klare Entscheidungsgrundlagen für die Behandlung dieser Krankheiten liefern, hat nun eine 34-jährige, in der Abteilung Endokrinologie am Universitätsspital Basel tätige Oberärztin und SNF-Förderprofessorin, Prof. Dr. med. Mirjam Christ-Crain, untersucht. Für ihre wegweisenden Arbeiten wird sie den diesjährigen, mit 100.000 Franken dotierten Nationalen Latsis-Preis am 14. Januar 2010 im Berner Rathaus überreicht bekommen, den der Schweizerische Nationalfonds (SNF) im Auftrag der Latsis-Stiftung vergibt.
Christ-Crain bezeichnet ihr Arbeitsgebiet als erweiterte Endokrinologie, weil sie sich nicht nur für Diabetes oder Schilddrüsenerkrankungen, mit denen sich Endokrinologen typischerweise beschäftigen, interessiert, sondern auch für andere Krankheiten. Auf ihrer Suche nach Krankheitssignalen, deren Kenntnis eine Vorhersage des Verlaufs einer Lungenentzündung erlaubt, ist Christ-Crain auf Stresshormone gestoßen. Sie hat bemerkt, dass Patienten mit einem erhöhten Stresspegel - also mit einer erhöhten Konzentration von Stresshormonen wie beispielsweise Cortisol - einen schlechteren Krankheitsverlauf und ein erhöhtes Sterberisiko aufweisen. Ein zu hoher Cortisol-Gehalt hemmt insbesondere die Immunantwort des Körpers, was sich bei einer Lungenentzündung fatal auswirken kann. Andererseits ist der Körper auch auf ein Mindestmaß an Stresshormonen angewiesen, um eine derartige Belastung wie eine Lungenentzündung zu überstehen. „Der Stresslevel sollte also nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief sein“, erläutert Christ-Crain.
Im Grunde genommen die gleiche Fragestellung hat Christ-Crain dann auch bei Patienten verfolgt, die einen Schlaganfall erlitten haben: Wie lässt sich objektiv feststellen, welcher Patient sich schnell erholt, im Vergleich zu einem anderen, der ein besonders hohes Risiko hat, an den Folgen des Schlaganfalls zu sterben? Auch bei Schlaganfällen konnte Christ-Crain einen hormonellen Zusammenhang aufzeigen: Je größer die Menge der im Blut zirkulierenden Stresshormone, umso größer die Wahrscheinlichkeit eines schlechten Verlaufs. „Mit einem Stresshormon-Test könnten wir in Zukunft vielen Patienten erlauben, früher nach Hause zu gehen, und nur diejenigen im Spital behalten, bei denen wir eine Verschlechterung des Zustands befürchten müssen“, meint Christ-Crain.