Der Arztbericht über einen jungen Mann, der seit vier Monaten erfolglos wegen einer Lungenentzündung (Pneumonie) behandelt wurde, liest sich folgendermaßen: Der 30-Jährige sucht mit linksseitigem Brustschmerzen (Thoraxschmerz) eine Notfallambulanz in Toronto auf. In seiner Krankengeschichte stehen ein Reizdarm, eine wiederkehrende Stirnhöhlenentzündung (Sinusitis) und Mundtrockenheit nach einer operativen Mandel-Entfernung (Tonsillektomie), außerdem hat er im letzten Jahr 5 kg an Gewicht verloren. Zwei Wochen zuvor war bei ihm in seinem Herkunftsland Polen eine Pneumonie erkannt und für 14 Tage mit Clarithromycin behandelt worden. Jetzt wird eine durch die Pneumonie verursachte Herzbeutelentzündung (Perikarditis) diagnostiziert und eine Behandlung mit Colchicin und hochdosiertem Ibuprofen begonnen. Weil die Brustbeschwerden trotzdem fortdauern, wird ambulant eine Amoxicillintherapie verordnet und der Mann nach weiteren zwei Wochen stationär aufgenommen.
Wiederholte CT-Aufnahmen zeigen bilaterale Konsolidierungen und Milchglastrübungen in den mittleren und unteren Lungenlappen, die über die Zeit weitgehend unverändert bleiben; eine Lungenembolie ist ausgeschlossen. Die Ergebnisse einer bronchoalveolären Lavage, die noch in Polen gemacht wurde und Pseudomonas aeruginosa und Serratia marcescens nachweist, lenken den Verdacht auf eine unzureichende antibiotische Therapie. Der Patient erhält deswegen nochmals 14 Tage lang Ciprofloxacin. Dadurch wird die Atemnot (Dyspnoe) tatsächlich besser, an den Thoraxschmerzen ändert sich jedoch nichts.
Das Blutbild des Patienten ist (bis auf ein leichte normozytäre Anämie) unauffällig; es gibt zudem keine Hinweise auf ein Sjögren-Syndrom oder eine andere Bindegewebserkrankung. Bei einer erneuten Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage fällt gelber Mukus auf, ansonsten ist sie ohne Befund. Die Ärzte entscheiden sich deswegen für eine CT-gesteuerte Lungenbiopsie und entlassen den Patienten nach Hause. Nur eine Woche später wird er mit Fieber erneut vorstellig, im CT zeigt sich eine neue Milchglastrübung. Diesmal verordnen die Ärzte eine sechswöchige Behandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure. Die Lungenfunktionsuntersuchung zeigt eine leichte restriktive Ventilationsstörung.
Im Lungenbiopsat findet sich ein Fremdkörpergranulom mit einer amorphen azellulären Substanz, die nicht zu identifizieren ist; Amyloid, Mucin, Kalzium, Pilze und säurefeste Bakterien können ausgeschlossen werden. Die Ärzte nehmen dies zum Anlass, die Expositionsgeschichte des Mannes genauer zu erfragen. Er verneint Kontakt zu E-Zigaretten mit Liquids, Asbest, Talk und diversen anderen Materialien, berichtet bei dieser Gelegenheit aber, dass er den Mund gegen die Trockenheit seit vielen Jahren mit Flachssamenöl spült. Außerdem benutze er seit zwei Jahren abschwellendes Nasenspray mit Sesamöl. Damit steht die Diagnose, sie lautet „exogene Lipidpneumonie“. Diese seltene Ursache nicht abheilender Pneumonien entsteht dadurch, dass Öle eingeatmet (aspiriert) oder inhaliert werden und in die Lungenbläschen gelangen, wo sie von Fresszellen (Makrophagen) gefressen werden. Wenn die Makrophagen absterben und das Öl freisetzen, kommt es zu Entzündungsreaktionen, zur Bildung von Riesenzellgranulomen und letztlich zu Fibrose. Im geschilderten Fall war zur Lipidpneumonie offenbar eine bakterielle Superinfektion hinzugekommen.
Der Schlüssel zur Diagnose einer chronischen exogenen Lipidpneumonie sei die gründliche Anamneseerhebung, betonen die Ärzt:innen um Sabrina Yeung von der Universität Toronto, die den Fall im Canadian Medical Association Journal (online am 12.10.2021) vorgestellt haben: „Wenn die Lipidexposition unseres Patienten früher festgestellt worden wäre, wären ihm vielleicht die Lungenbiopsie und einige Notfallaufnahmen erspart geblieben.
Die Therapie der exogenen Lipidpneumonie besteht im Weglassen der ölhaltigen Präparate, bei schwerer Pneumonie können zusätzlich Glukokortikoide zum Einsatz kommen. Laut Yeung et al. kam es bei dem 30-Jährigen nach dem Absetzen der ölhaltigen Produkte sowie der Antibiotika zu einer allmählichen Besserung der Beschwerden und der Lungenfunktion.
Quelle: Springer Medizin am 19.10.2021