Vor 100 Jahren starb in Deutschland etwa jeder vierte Erwachsene an Tuberkulose. Und auch im Nachkriegsdeutschland hatte noch fast jede Familie Opfer zu beklagen. Mittlerweile gerät das allerdings zunehmend in Vergessenheit, wenn auch weltweit jährlich rund neun Millionen Neuerkrankungen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) registriert werden. Schließlich scheint die abgekürzt auch TB genannte Infektionskrankheit jetzt vor allem in fernen Ländern zu wüten: Besonders betroffen sind vornehmlich Entwicklungs- und Schwellenländer wie Indien, China, Indonesien, Nigeria, Bangladesch und Pakistan. Allerdings warnt Barbara Oberhauser von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe anlässlich des Welt-Tuberkulose-Tages am 24. März: „Wenn man sich nicht darum kümmert, kann es auch hierzulande wieder zu einem explosionsartigen Anstieg kommen.“
Pro Jahr registriert das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin rund 5000 Neuerkrankungen in Deutschland. Aufgrund dieser vergleichsweise niedrigen Zahl wird die früher übliche BCG-Impfung gegen Tuberkulose seit 1998 nicht mehr von der Ständigen Impfkommission empfohlen. Außerdem sei laut RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher die Wirkung dieses Impfstoffes nicht mehr sicher belegt und mit Nebenwirkungen behaftet. Um sich vor einer Ansteckung zu schützen, sei der Kontakt mit Tuberkulose-Patienten zu vermeiden. Krankheitsfälle werden allerdings oft erst spät erkannt, weil die Anzeichen der Krankheit (Symptome) in der Regel sehr unspezifisch sind. Auch Ärzte denken angesichts der geringen Fallzahlen nicht als erstes an Tuberkulose.
„In vier von fünf Fällen ist die Lunge betroffen“, berichtet Udo Götsch, Tuberkulose-Experte beim städtischen Gesundheitsamt in Frankfurt/Main. Zu den Symptomen gehören länger andauernder Husten, oft auch blutiger Auswurf, Nachtschweiß, Fieber und Gewichtsabnahme - daher auch der früher gebräuchliche Krankheitsname Schwindsucht. „Die Lunge ist so etwas wie die Eintrittspforte in den Körper“, erklärt Götsch. „Wenn der Organismus nicht mit der Infektion fertig wird, können die Erreger in die Blutbahn eindringen.“ Dann treten auch in anderen Organen außer der Lunge Symptome auf. So kann beispielsweise Blut im Urin oder eine eingeschränkte Nierenfunktion auf Tuberkulose in der Niere hindeuten. Unspezifische Bauchschmerzen können Anzeichen dafür sein, dass der Darm betroffen ist.
Zur Diagnose dienen Haut- und Bluttests, Gewebeuntersuchungen, sowie bestimmte Bildgebungsverfahren und Erregernachweise in Bakterienkulturen. Wird die Krankheit erkannt, stehen die Heilungschancen immerhin sehr gut: Über einen Zeitraum von sechs Monaten werden vier verschiedene Medikamente verabreicht. „Wird aber zu kurz, zu wenig oder mit den falschen Medikamenten therapiert, so sind häufig Resistenzen die Folge“, warnt Medizinerin Oberhauser. Wenn die Erreger eine solche Unempfindlichkeit gegenüber den eingesetzten Arzneistoffen entwickeln, kann zwar mit Reservemedikamenten behandelt werden. Doch das dauert dann zwei Jahre. Auch das Risiko von Nebenwirkungen wird dann deutlich höher.
Nur Tuberkulose-Patienten, bei denen die Krankheit ausgebrochen ist, können diese auch übertragen. „Insgesamt ist Tuberkulose aber weit weniger ansteckend als andere Tröpfchen-Infektionen“, fasst Götsch zusammen. Deshalb werden nach der Meldung eines TB-Falles auch nur Personen untersucht, die sich mindestens acht Stunden mit dem Patienten in einem Raum befanden, oder Menschen, die ihm kurzfristig intensiv ausgesetzt waren - wie ein Arzt, der angehustet wurde. Solche Kontaktpersonen werden meist gleich prophylaktisch mit einem Antibiotikum behandelt.
Das Tückische an Tuberkulose ist: Nur in den wenigsten Fällen bricht sie direkt nach einer Infektion aus. Die WHO schätzt, dass ein Drittel der Menschen mit Tuberkulose-Erregern infiziert ist, ohne dies zu wissen. „Nur bei fünf bis zehn Prozent der Infizierten kommt es im Laufe ihres Lebens zum Ausbruch der Krankheit. Das kann allerdings auch erst Jahre nach der Infektion sein“, sagt Götsch. Ein gesunder Körper hat die Erreger oft so lange im Griff, bis er in irgendeiner Form geschwächt wird. „Wir haben einen sehr hohen Anteil älterer Patienten, die sich irgendwann nach dem Krieg angesteckt haben, und jetzt durch Diabetes oder Rheuma so stark angegriffen sind, dass der Organismus nicht mehr mit den Erregern fertig wird“, erläutert Oberhauser. Ähnlich betroffen sind Migranten, die entweder mit einer Infektion nach Deutschland kommen oder sich bei einem Heimatbesuch anstecken. Auch Obdachlose, HIV-Infizierte und Tumorpatienten zählen zu den Risikogruppen. Besonders in Afrika befördert die Immunschwächekrankheit HIV den Ausbruch von Tuberkulose. Insofern gibt es nach Angaben des RKI eine Reihe von Ländern, die bei Langzeitaufenthalten, zum Beispiel an Schulen oder Universitäten, eine Impfung verlangen. An der Entwicklung von Impfstoffen mit einer verbesserten Wirkung wird bereits gearbeitet.