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Schweinegrippe: Experte beklagt Defizite beim Schutz der Bevölkerung

In Deutschland haben 6 der 16 Bundesländer für nur 11 bis 14 Prozent ihrer Bevölkerung antivirale Medikamente eingelagert. Damit erfüllen sie nicht einmal die Vorgabe des nationalen Pandemieplans, der eine Bevorratung von mindestens 20 Prozent vorsieht. Davor warnt die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI).

Angesichts des Ausbruchs der der Schweinegrippe in Mexiko und der laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestehenden Gefahr einer Grippe-Pandemie warnt die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) vor einer zu geringen Bevorratung antiviraler Medikamente in Deutschland. „Aufgrund der uns vorliegenden Daten haben 6 der 16 Bundesländer nur für 11 bis 14 Prozent ihrer Bevölkerung antivirale Medikamente eingelagert und erfüllen damit nicht einmal die Vorgabe des nationalen Pandemieplans, der eine Bevorratung von mindestens 20 Prozent vorsieht“, erklärt Prof. Bernhard Ruf vom Vorstand der DGI und Chefarzt der Klinik für Infektiologie am Klinikum St. Georg in Leipzig. „Die WHO geht noch einen Schritt weiter und empfiehlt bei einer angenommenen Erkrankungsrate von 30% einen Medikamentenvorrat für 30 Prozent der Bevölkerung. Hier muss die Frage gestellt werden, wie es sein kann, dass diese Bundesländer ihrer Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung offenbar nicht in vollem Umfang nachgekommen sind. Die Medikamentenbevorratung liegt zwar in der Zuständigkeit der Länder, aber eine von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten im Pandemiefall ist völlig unverständlich und aus unserer Sicht nicht akzeptabel.“ Eine aktuelle Umfrage der Redaktion www.lungenaerzte-im-netz.de zeigt (siehe Abb.1), dass 8 Bundesländer zur Pandemievorsorge antivirale Medikamente für 20 Prozent ihrer Bevölkerung eingelagert haben. Dazu gehören Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen, das Saarland, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zwischenzeitlich hat auch Berlin die geforderte Quote erreicht. Als einziges Bundesland hat sich Nordrhein-Westfalen mit einer Versorgungsquote von 30 Prozent an der Empfehlung der WHO orientiert. „Das Robert Koch-Institut hatte bereits im Herbst 2007 eine Umsetzung der im Pandemieplan empfohlenen Bevorratung von allen Bundesländern gefordert. Diejenigen, die vermutlich die Kosten gescheut und gehofft hatten, es werde schon nicht soweit kommen, werden jetzt durch die aktuelle Situation eines Besseren belehrt“, so der Infektiologe.

International liegt Deutschland bei der Bevorratung zurück

Im internationalen Vergleich (siehe Abb.2) liegt Deutschland bei der Bevorratung antiviraler Medikamente auf einem der hinteren Plätze. In einer Rangfolge, die von der Fachzeitschrift Environmental Health Perspectives im November 2008 veröffentlicht wurde, belegt Deutschland unter 22 europäischen Ländern mit einer angestrebten Bevorratung von 20 Prozent nur Platz 17. Unter 36 Ländern weltweit sieht es mit Rang 27 nicht besser aus. Auf den ersten drei Plätzen liegen Frankreich mit 55 Prozent, Großbritannien mit 50 und Österreich mit 48 Prozent. Auch die USA liegen mit 25 Prozent deutlich über dem deutschen Wert. „In diesen Ländern nimmt die Versorgung der Bevölkerung mit antiviralen Medikamenten offenbar einen höheren Stellenwert ein als bei uns“, kritisiert Ruf. „Bei einer Bevorratung für 20 Prozent der Menschen können die Mittel nur für die Therapie bereits Erkrankter eingesetzt werden. Nicht mal die vorsorgliche Einnahme der Medikamente für erstversorgende Ärzte und Helfer ist vorgesehen. Sie will man ungeschützt an die Grippefront entsenden.“ In der Fortschreibung des Pandemieplans heißt es ausdrücklich, dass eine Notwendigkeit zur Priorisierung der Verteilung der Arzneimittel an bestimmte Personengruppen nicht besteht. Für medizinisches Personal, Angehörige von Hilfsorganisationen sowie andere, für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens wichtige Personengruppen, ist eine prophylaktische Versorgung mit Arzneimitteln demnach nicht vorgesehen. Das könnte sich im Ernstfall als problematisch herausstellen. „Um ausreichend vor einer Grippe-Pandemie gewappnet zu sein, sollten wie in Frankreich und Großbritannien für jeden Zweiten in der Bevölkerung Medikamente zur Verfügung stehen“, fordert Ruf. „Weitet sich die von Mexiko ausgehende Schweinegrippe-Epidemie zur Pandemie aus, wird es etwa 3 bis 5 Monate dauern, bis die ersten Impfstoffdosen mit einem zielgerichteten Impfstoff gegen den Erreger verabreicht werden können. Diese Zeit muss mit den verfügbaren Grippemitteln überbrückt werden.“ Das Paul-Ehrlich-Institut überprüft derzeit, ob die Grippe-Impfung für die vergangene Grippesaison einen gewissen Schutz vor dem neuen Schweinegrippe-Virus vom Subtyp H1N1 bietet. Bis hierzu erste Ergebnisse vorliegen, wird es allerdings noch etwas dauern. „Angehörige von medizinischen Berufen, die im letzten Winter nicht gegen Grippe geimpft waren, sollten die Impfung sicherheitshalber jetzt noch nachholen“, empfiehlt Ruf.

Einseitige Bevorratung in vielen Bundesländern birgt erhebliche Risiken

Ein weiteres Problem ist die derzeit relativ einseitige Bevorratung. Von den zwei zur Verfügung stehenden antiviralen Medikamenten Tamiflu® und Relenza™ wurde in Deutschland aber auch in vielen anderen europäischen Ländern überwiegend Tamiflu® oder der darin enthaltene Wirkstoff Oseltamivir beschafft. „Wenn es dann bei dem Pandemie-Erreger zu Resistenzen gegen diesen Wirkstoff kommen würde, wäre diese Waffe gegen das Virus wirkungslos“ betont Ruf. „Deshalb ist die Mischbevorratung so wichtig und sollte bei einer möglichen Aufstockung der Medikamentenkontingente unbedingt berücksichtigt werden.“ Bei dem jetzt isolierten Schweingrippe-Virus haben Tests ergeben, dass sowohl Tamiflu® als auch Relenza™ gegen den Erreger wirken. Allerdings sind das Ergebnisse von Labortests. Aussagekräftige Daten über die Wirksamkeit bei Patienten gibt es derzeit noch nicht. Zudem besteht immer die Gefahr, dass sich das Virus durch Mutation so verändert, dass es gegenüber einem bestimmten Wirkstoff unempfindlich wird. Eines der in der vergangenen Grippesaison in den USA zirkulierenden Influenza-Viren – wie das Schweinegrippe-Virus ein Influenza A-Virus vom Subtyp H1N1 – war schon in 90 Prozent der untersuchten Fälle gegen Tamiflu® resistent. Bei Grippe-Patienten, die mit Relenza™ behandelt wurden, sind in klinischen Studien bislang keine Resistenzen beobachtet worden. Erst Anfang letzten Jahres hatte die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA empfohlen, beide verfügbaren Grippemedikamente zum Schutz der Bevölkerung einzulagern.