Die Korallenbeere (Ardisia crenata) könnte sich als Hoffnungsträger für Asthmatiker entpuppen: Forscher der Universität Bonn haben aus ihren Blättern einen neuartigen Wirkstoff gegen die weit verbreitete Atemwegserkrankung gewonnen. In Mäusen unterbindet er nahezu vollständig die charakteristische Verkrampfung der Bronchien (siehe (siehe Science Translational Medicine, Online-Veröffentlichung am 13.9.2017). Die Pflanze selbst ist nicht gerade ein Exot: Es gibt sie in jedem gut sortieren Gartencenter.
Eine ausgesprochene Schönheit ist die Korallenbeere nicht. Das ändert sich in den Wintermonaten: Dann bildet sie auffällige leuchtend rote Beeren, die sie in dieser Zeit zu einer beliebten Zierpflanze machen. Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler interessieren sich jedoch aus einem anderen Grund für die Pflanze: Die Blätter der Korallenbeere enthalten eine Substanz mit der kryptischen Bezeichnung FR900359. Man vermutete zwar, dass diese sich als Arznei gegen bestimmte Krankheiten eignen könnte. Dennoch blieb Ardisia crenata von der Wissenschaft bislang weitgehend unbeachtet.
Forscher der Institute für Physiologie I, für Pharmazeutische Biologie und für Pharmazeutische Chemie der Universität Bonn haben nun zusammen mit Asthma-Spezialisten aus Nottingham (England) eine Arbeit veröffentlicht, die dies ändern könnte. Denn sie dokumentiert, dass FR900359 anscheinend äußerst effektiv verhindert, dass sich die Bronchialmuskeln zusammenziehen. Asthmatiker leiden regelmäßig unter sehr ausgeprägten Verkrampfungen der Atemwege. Diese verhindern, dass genügend Luft in die Lunge gelangt. Die resultierende Atemnot kann lebensbedrohlich sein.
Der neuartige Wirkstoff löst diesen Spasmus – und das anscheinend effektiver und langfristiger als das gängige Asthmamedikament Salbutamol. „Allerdings haben wir die Substanz bislang nur an asthmakranken Mäusen getestet“, erklärt Juniorprofessorin Dr. Daniela Wenzel. Wenzel forscht am Institut für Physiologie I der Universität Bonn zu Atemwegserkrankungen; sie hat die Studie geleitet.
Der Impuls, FR900359 zu testen, kam aus dem Institut für Pharmazeutische Biologie: Dort war es Wissenschaftlern gelungen, den Wirkstoff aus Blättern der Korallenbeere zu isolieren und zu charakterisieren. „Die Substanz hemmt eine zentrale Gruppe von Signalmolekülen in den Körperzellen, die Gq-Proteine“, erklärt Wenzel. Gq-Proteine übernehmen bei vielen Prozessen im Körper eine Schlüsselfunktion – auch bei der Steuerung der Bronchial-Muskulatur.
Normalerweise sorgt das Zusammenspiel verschiedener Signalwege dafür, dass sich die Atemwege verengen. Wenn man einzelne von ihnen hemmt, kann man die Verkrampfung der Atemwege mildern. Bei schwer asthmakranken Patienten lässt sie sich so jedoch nicht vollständig beseitigen. Die Signale laufen bei den Gq-Proteinen zusammen und aktivieren sie. Erst dann wird der Bronchial-Spasmus eingeleitet. „Wenn wir die Aktivierung der Gq-Proteine mit FR900359 hemmen, erzielen wir daher einen weit stärkeren Effekt“, betont Dr. Michaela Matthey vom Institut für Physiologie I.
Bei den asthmakranken Mäusen in der Studie funktionierte das ausgesprochen gut. „Wir konnten verhindern, dass die Tiere auf Allergene wie Hausstaub mit einer Verengung der Bronchien reagieren“, freut sich Wenzel. Nebenwirkungen gab es zudem kaum, da der Wirkstoff sich über die Atemwege applizieren ließ und so nur in geringen Mengen in den Blutkreislauf gelangte. Ob sich die Substanz auch zum Einsatz am Menschen eignet, ist dennoch nicht gesagt. Zwar konnten die Wissenschaftler bereits zeigen, dass menschliche Bronchialmuskelzellen in der Kulturschale sowie isolierte menschliche Atemwege ähnlich viel versprechend reagieren. Doch für die Anwendung am lebenden Menschen sind noch weitere Testreihen nötig, die sich über Jahre hinziehen können.
Dennoch ist die Arbeit schon jetzt ein großer Erfolg. Dieser kommt nicht von ungefähr: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert an der Universität Bonn die Forschergruppe „G-Protein Signalkaskaden: mit neuen molekularen Sonden und Wirkstoffen zu neuen pharmakologischen Konzepten“. Ziel ist es, zentrale Signalmoleküle wie etwa die Gq-Proteine pharmazeutisch zu beeinflussen und so neue Therapie-Ansätze bei bestimmten Erkrankungen zu finden. Die Pharmazeuten und Physiologen der Universität kooperieren in dem Forschungsverbund eng miteinander; die aktuelle Studie ist ein Ergebnis dieser Kooperation.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn