Pilze, die innerhalb von Pflanzen leben, nennt man endophytische Pilze. Sie versorgen sich mit den Nährstoffen der Pflanzen, schützen diese aber auch, indem sie antibakterielle oder andere schützende Substanzen bilden. Da sie zum Teil deutlich anders wirkende Stoffe bilden, mit denen neue Behandlungsstrategien gegen Krankheiten entwickelt werden können, sind diese Pilze in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus der Wirkstoffforschung gerückt. Auch die Pharmazeuten aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Peter Proksch am Institut für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie (IPBB) der Heinrich Heine Universität Düsseldorf konzentrieren sich verstärkt auf diese Pilze. Jetzt haben sie in interdisziplinärer Zusammenarbeit einen neuen Wirkstoff namens Chlorflavonin identifiziert und gefunden, der ein neues Wirkschema gegen Tuberkulose aufweist (siehe American Chemical Society – Infectious Diseases, Online-Veröffentlichung am 6.11.2017).
Viele der Nachwuchswissenschaftler von Prof. Proksch kommen aus dem Ausland. „Wenn sie nach Düsseldorf kommen, bitten wir unsere neuen Promovierenden, Arzneipflanzen aus ihrer Heimat mitzubringen“, so Prof. Proksch. Mit diesen Pflanzen arbeiten sie dann in Düsseldorf, untersuchen sie auf ihre Wirkstoffe und isolieren die bioaktiven Verbindungen. „Diese Arbeitsweise ist auch sehr wichtig, wenn die Wissenschaftler wieder in ihre Heimat zurückkehren, denn so haben die Forschungen einen regionalen Bezug und eine größere Akzeptanz vor Ort“, betont Prof. Proksch.
Herve Sergi Akone, ein ehemaliger Doktorand aus Kamerun, brachte die in der traditionellen Medizin Kameruns verwendete Arzneipflanze Moringa stenopetala mit. Aus der Pflanze extrahierte Dr. Akone, der mittlerweile an der HHU promovierte, den endophytischen Pilz Mucor irregularis und daraus wiederum eine wirksame Substanz: das sogenannte Chlorflavonin. Dessen antimikrobielle Wirkung wurde von Nidja Rehberg, einer Doktorandin aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Rainer Kalscheuer (ebenfalls IPBB), getestet. In einem mehrstufigen Prozess, an dem verschiedene Arbeitsgruppen beteiligt waren, wurde die Substanz aufgereinigt und hinsichtlich des Wirkspektrums getestet. Es zeigte sich, dass Chlorflavonin spezifisch antibakteriell gegen den Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis wirkt. Die entsprechenden Tests wurden im Hochsicherheitslabor am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene an virulenten Stämmen von Mycobacterium tuberculosis durchgeführt.
In weiteren Schritten konnten der Wirkort und -mechanismus gegen den Tuberkuloseerreger bestimmt werden: Gehemmt wird die Herstellung wichtiger Aminosäuren im Erreger, was dessen Stoffwechsel und Vermehrung behindert. Besonders bedeutsam ist, dass Chlorflavonin auch gegen multi- und extremresistente Stämme von Mycobacterium tuberculosis (sogenannte MDR- und XDR-Isolate) wirkt. Diese werden immer mehr zum Problem, was nicht zuletzt daran liegt, dass die letzten neuen Medikamente gegen Tuberkulose in den 1970er-Jahren entwickelt wurden. Daher ist eine Tuberkulose-Therapie heutzutage sehr aufwändig, zeitintensiv und nebenwirkungsreich: Über mindestens sechs Monate müssen vier unterschiedliche Medikamente eingenommen werden. Gerade in ärmeren Ländern wird diese kostenintensive Behandlung oft nicht durchgehalten, sondern zu früh abgesetzt, sobald die Symptome zurückgehen.
Umso wichtiger wird es deshalb, neue Wirkstoffe zu finden, die an anderen Stellen ansetzen als die alten Substanzen, um so der Ausbildung von Resistenzen vorzubeugen. Genau einen solchen neuen Weg eröffnet das Chlorflavonin, welches darüber hinaus sehr gut mit bestimmten anderen klinischen Antituberkulosewirkstoffen zusammenspielt. „Gegebenenfalls kann so die Therapiezeit deutlich reduziert werden, was sich positiv auf die Kosten und die Motivation der Patienten auswirken kann“, hofft Prof. Kalscheuer.
Das Chlorflavonin ist übrigens eine für Pilze ungewöhnliche Substanz, sie tritt eher bei Pflanzen auf. Ihre genaue Wirkung wurde mittels Computermodellen am Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie bestimmt. So weiß man, an welche Stellen des Mycobacteriums tuberculosis die Substanz koppelt. Am Computer kann auch getestet werden, wie die aus dem Pilz stammende Grundsubstanz modifiziert werden kann, um noch besser an die Zielstruktur zu koppeln und so optimal zu wirken. „Auf der Grundlage einer Leitsubstanz kann eine ganze Bibliothek an verschiedenen Derivaten entwickelt werden, die bessere Eigenschaften in der Aufnahme, Verstoffwechselung oder Pharmakokinetik aufweisen können“, fasst Prof. Proksch die kommenden Aufgaben zusammen.
Quelle: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf