Das zylinderförmige Vehikel für Arzneistoffe sieht aus wie ein Maiskolben, ist winzig wie ein Bakterium (zehn mal drei Mikrometer), kann inhaliert werden und somit den Wirkstoff direkt in die Lungenzellen liefern. Es: wurde von Pharmazeuten der Universität des Saarlandes in Zusammenarbeit mit Forschern der Medizinischen Fakultät der Saar-Uni, des Leibniz-Instituts für Neue Materialien und der Universität Marburg entwickelt (siehe Advanced Healthcare Materials, Online-Vorabveröffentlichung am 20.7.2017). Dabei machten sich Prof. Marc Schneider und sein Team die körpereigene Abwehr zunutze: Makrophagen, die Fresszellen des Immunsystems, einverleiben sich den gesundheitlich unbedenklichen „Nano-Mais“ und setzen dabei den in ihm enthaltenen Wirkstoff frei.
Ein Medikament wirkt nur, wenn es auch dort ankommt, wo es wirken soll. Wird ein Mittel inhaliert, muss der Wirkstoff in der Lunge zuerst die Hindernisse überwinden, die der Körper zu seinem Schutz gegen Viren, Bakterien oder Partikel wie Dieselruß aufgebaut hat – etwa den Schleim der Atemwege. Damit die Arznei dort nicht steckenbleibt, haben Prof. Schneider und sein Team ein Transportsystem entwickelt, das einen Wirkstoff zuverlässig in die Lungenzellen schleust. „Stäbchenförmige Partikel sind lungengängig, werden also in die Lunge aufgenommen. Außerdem bieten sie ein großes Volumen für die Ladung, die transportiert werden soll. Daher wollten wir ein Transportsystem mit dieser Form entwickeln“, erklärt der Professor für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie an der Saar-Universität.
Die Zylinder mit der maisartigen Struktur sind 10.000 x 3.000 Nanometer klein, etwa so groß wie ein Bakterium. Damit stehen sie auch auf dem Speisezettel der Fresszellen des Immunsystems (Makrophagen). „Sie sind von ihrer Größe her so bemessen, dass sie beim Inhalieren im tiefen Lungengewebe landen. Zudem stellen wir über die Größe sicher, dass nur die Immunzellen, vor allem die Makrophagen, den Transporter aufnehmen“, erläutert Schneider. Die Fresszellen fressen den „Nano-Mais“. Durch ihre Verdauungsprozesse setzen sie den in ihm transportierten Wirkstoff frei: Konkret besteht dieser Wirkstoff aus genetischem Material, das die Funktion der Makrophagen beeinflusst. Die in dieser so genannten Plasmid-DNA enthaltenen „Befehle“ programmieren die Immunzellen so um, dass sie einen erwünschten Therapieeffekt auslösen und zur Heilung beitragen können. Der „Nano-Mais“ sorgt dafür, dass diese Ladung zielgenau im richtigen Zelltyp abgeliefert wird.
Mehrere Jahre arbeiteten die Forscher und ihre Partner daran, die kleinen Transporter im Mikrometer-Maßstab stabil herstellen und passgenau beladen zu können. Schneider und sein Team füllen hierzu Partikel in eine stäbchenförmige Nano-Schablone mit vielen kleinen Löchern: ganz so als würden sie Teig in eine Kuchenform gießen. Es entsteht ein Nano-Röhrchen mit vielen kleinen Kugeln. Damit dieses zusammenhält und nicht auseinanderfällt, verkleben die Forscher die Moleküle Lage für Lage miteinander und verbacken dabei zugleich auch die pharmazeutisch aktiven Substanzen. Wenn die Membran-Schablone sich später auflöst, verbleibt der fertig beladene maisförmige Transporter.
Um die Ladung mit der Plasmid-DNA optimal für den Transport zu bemessen und anzupassen, arbeiteten Schneider und sein Team mit Forschern des Leibniz-Instituts für Neue Materialien auf dem Saarbrücker Campus zusammen.
Dass die kleinen Trägersysteme tatsächlich ihre Ladung in die Lungenzellen liefern, konnten die Pharmazeuten zusammen mit Biopharmazeuten der Philipps-Universität Marburg um Professor Udo Bakowsky und Zellbiologen der Saar-Universität aus dem Team von Professor Thomas Tschernig beweisen: Hierzu beluden die Wissenschaftler den „Nano-Mais“ mit genetischem Material, das den Bauplan von so genannter „Luciferase“ enthält: Dieses Enzym ruft eine Leuchtreaktion, eine Biolumineszenz, hervor. Nimmt die Zelle den „Nano-Mais“ mit dieser Ladung auf, produziert sie dieses Enzym und leuchtet. Die Wissenschaftler konnten nach erfolgreichem Transport das Leuchten in den Zellen nachweisen.
Noch ist der Wirkstoff-Transporter Gegenstand der Grundlagenforschung. Die Forscher um Marc Schneider entwickeln das Material ihres Wirkstoff-Transporters aber bereits für den späteren Einsatz in der Therapie weiter. So könnte der Transporter in nicht ferner Zukunft zum Beispiel in der Mukoviszidose-Therapie Einsatz finden.
Quelle: Universität des Saarlandes