Lungenkarzinome sind die häufigste Krebsform weltweit: Jährlich werden 1.8 Millionen Neudiagnosen gestellt; 2016 starben 1.6 Millionen Menschen an der Krankheit. Unter den verschiedenen Formen von Lungenkrebs ist das sogenannte nicht-kleinzellige Lungenkarzinom das häufigste. Die Therapiemöglichkeiten konnten dank genetischer Analysen bereits verbessert werden. So können beispielsweise bei einer bestimmten genetischen Mutation des Tumors Medikamente ganz gezielt eingesetzt werden. Ein anderer vielversprechender Ansatz ist das Wiederscharfmachen des Immunsystems mittels Antikörpern. Diese ermöglichen es den körpereigenen Immunzellen wieder, die Tumorzellen effektiv zu bekämpfen. Trotz dieser Fortschritte ist nach wie vor noch zu wenig bekannt darüber, wie sich ein Lungenkrebs-Tumor entwickelt.
Eine wichtige Rolle beim Tumorwachstum spielen spezielle Bindegewebszellen, sogenannte Perizyten. Normalerweise besteht die Aufgabe von Perizyten darin, Blutgefäßwände abzudichten. Bei Lungenkrebs scheinen sie aber nicht mehr richtig zu funktionieren. Zusätzlich unterdrücken sie die immunologische Bekämpfung des Tumors. Das haben Forscher der Universitätsklinik für Thoraxchirurgie des Inselspitals Bern, dem Department of Biomedical Research (DBMR) und dem ARTORG Center for Biomedical Engineering der Universität Bern herausgefunden (siehe Scientific Reports 2017, Band 7, Seite: 10636). Die Erkenntnisse der Studie können möglicherweise dazu verwendet werden, die Immuntherapie bei Lungenkrebs zu verbessern.
„Es wurde schon länger vermutet, dass Perizyten mit dem Tumorwachstum zusammenhängen – darum haben wir gezielt nach diesem Zusammenhang gesucht“, berichtet Sean Hall, Leiter der Gruppe Thoraxchirurgie am Inselspital und DBMR. Dafür wurden Proben von Tumorzellen aus nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen von Patientinnen und Patienten gesammelt, die am Inselspital Bern operiert wurden. Aus diesem Lungengewebe isolierte Hall anschließend Perizyten. Die Forschenden verglichen diese speziellen Bindegewebszellen mit solchen aus gesundem Lungengewebe. Dabei entdeckten sie, dass die Zellen aus dem Tumorgewebe mehrere Anomalien aufwiesen.
So war Interleukin-6, ein entzündungsfördendes Eiweiß, in den Perizyten übermäßig vorhanden, ebenso PD-L1, ein Hemmstoff, der die körpereigene Immunantwort unterdrückt. „Die Resultate weisen darauf hin, dass Perizyten in kleinzelligen Lungenkarzinomen eine Entzündung aktiv fördern und auch die körpereigene Immunantwort unterdrücken“, erklärt Colette Bichsel vom ARTORG Center for Biomedical Engineering der Universität Bern und Erstautorin der Studie.
Die Forschenden wollten auch herausfinden, wie die Perizyten ihre Aufgabe, die Blutgefäßwände abzudichten, im Tumor erfüllen. Um dies zu untersuchen, entwickelte Colette Bichsel am ARTORG Center einen Chip, auf dem Blutgefäße gezüchtet und im Labor gehalten werden können. Darauf wuchsen Blutgefäße sowohl mit gesunden Perizyten als Abdichtung als auch solche mit Perizyten aus Lungenkarzinomen. Dabei zeigte sich ein deutlicher Unterschied: Die Blutgefäße mit Tumor-Bindegewebszellen waren undichter als normale Blutgefäße. „Dies lässt vermuten, dass Perizyten in einem Lungenkarzinom Blutgefäße nur ungenügend abdichten, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich Tumorzellen im Körper ausbreiten können“, erläutert Bichsel. Insofern erhoffen sich die Forschenden durch weitere Studien neue Ansätze für die Immuntherapie von Lungenkrebs.
Quelle: Universität Bern