Rund acht Millionen Menschen erkranken jährlich an Tuberkulose zwei Millionen sterben daran. Auch in den westlichen Industrienationen hat die Krankheit wieder Einzug gehalten. Alleine in Deutschland erkranken jedes Jahr über 4.000 Menschen. Das Problem: Viele Erreger sind gegen die bereits vorhandenen Antibiotika unempfindlich (resistent) geworden und seit Jahren wurde kein neues Tuberkulose-Medikament mehr entwickelt, das gegen die resistenten Erreger wirksam wäre. Diese multiresistenten und extrem resistenten Stämme machen die Behandlung von Patienten zu einem langwierigen und sehr teuren Prozess. Deswegen ist eine Entwicklung neuer Medikamente gegen Tuberkulose dringend erforderlich.
Ein Team von Wissenschaftlern um Prof. Dr. Caroline Kisker, Gruppenleiterin am Rudolf-Virchow-Zentrum in Würzburg, hat nun einen viel versprechenden neuen Wirkstoff entwickelt. Er soll es den Bakterien unmöglich machen, eine Zellwand zu bilden, so dass diese nicht lebensfähig sind. Heraus gekommen ist ein Hemmstoff, der etwa 14.000-mal länger bindet, als bisherige Substanzen und somit deutlich besser wirkt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift The Journal of Biological Chemistry (2010, Band 285/19, Seite 14330-14337) veröffentlicht.
Mutationen im Erbgut ermöglichen Bakterien per Zufall, gelegentlich auch Resistenzen gegen Antibiotika zu entwickeln. Die Erreger nutzen diese Methode, um sich an ständig wechselnde Umweltbedingungen anzupassen. So gelingt es ihnen, auch die Wirkung von antibiotischen Substanzen abzuschwächen bzw. ganz zu neutralisieren. Doch nicht alle Mutationen können toleriert werden. Manche Vorgänge sind so entscheidend für das Überleben der Bakterien, dass die Gene nahezu dauerhaft konstant bleiben müssen. Das gilt z.B. für die Biosynthese der Zellwand.
Bei Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Tuberkulose, besteht die Zellwand zum Großteil aus Mykolsäuren. Das sind sehr langkettige Fettsäuren, die den Bakterien Schutz bieten und ihnen ermöglichen, in Makrophagen (Fresszellen), die die Bakterien eigentlich zerstören sollen, zu überleben. InhA ist eines der Enzyme, die an der Herstellung dieser Fettsäureketten beteiligt sind. Im Enzym werden die Fettsäuren in einer so genannten Substrattasche hergestellt. Genau hier hat das Team von Prof. Dr. Caroline Kisker, angesetzt. Ziel war es, einen Wirkstoff zu kreieren, der diese Substrattasche blockiert, möglichst lange darin haften bleibt und so die Bildung der Zellwand effektiv verhindert.
Ein bereits existierender Hemmstoff, Triclosan, diente den Wissenschaftlern dabei als Grundlage. Zwar hemmt auch diese Substanz das Enzym InhA, passt jedoch nur recht unspezifisch in die Subtrattasche hinein und lässt sich daher auch leicht wieder heraus drücken. Mit Hilfe der Strukturbiologen um Prof. Dr. Caroline Kisker war es nun möglich, einen effektiveren Wirkstoff zu entwickeln. Die Strukturbiologie ermöglicht es, Proteine bis auf einzelne Atome genau darzustellen. Auf diesem Weg ließen sich Wirkstoffe entwickeln, die von ihrer Größe und ihrem Aufbau her noch besser an das Enzym binden. Ergebnis ist ein neuer Wirkstoff namens PT70. Er ist länger als der bisherige Wirkstoff Triclosan und reicht noch weiter in die Substrattasche hinein. Eine optimierte Zusammensetzung bewirkt zusätzlich, dass PT70 noch besser an das Enzym InhA bindet. Zudem schafft es der neue Wirkstoff, ähnlich wie die Fettsäure, die Substrattasche zu verschließen – ebenfalls ein entscheidendes Kriterium für seine Wirksamkeit.
Alle Faktoren zusammen bewirken, dass PT70 rund 24 Minuten an das Enzym gebunden bleibt. Das ist ungefähr 14.000 Mal länger als bei bisherigen Substanzen wie Triclosan. Als Medikament sollte es insofern wesentlich wirksamer sein als die im Vergleich nur kurz gebundenen Substanzen. Das muss aber noch geprüft werden.