Pharmazeuten arbeiten an der Entwicklung von innovativen Medikamenten, die mittels Nanocarrier über die Atemwege verabreicht werden. Diese müssen bei ihrem Weg in den Körper den Bronchialschleim überwinden, der die Luftröhre und die oberen Teile der Lunge auskleidet. Die Schleimschicht lässt Gase und winzigste Partikel leicht passieren, bremst aber größere Teilchen aus. Um dieses Transportverhalten besser zu verstehen, haben Wissenschaftler der Universität des Saarlandes, des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und der htw saar ein mathematisches Modell entwickelt (siehe Biophysical Journal Band 2017, 112/1, Seite: 172–179). Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse könnten die Entwicklung inhalativer Medikamente voranbringen.
Medikamente ohne Injektion ins Blut einzuschleusen ist schon seit längerem ein Ziel von Pharmazeuten. Eine mögliche Eintrittspforte von Wirkstoffen in den Körper führt über die Schleimhäute, die unter anderem die Nase und Mundhöhle, den Magen-Darm-Trakt aber auch die Atem- und Lungenwege auskleiden. Sie sind von einem Schleim, auch Mucus genannt, bedeckt: Er bildet eine nicht-zelluläre Barriere für alle von außen eindringenden Partikel. „Der Schleim auf unserer Luftröhre und den oberen Teile der Lunge besitzt eine zähe, gelartige Schwamm- oder Kammerstruktur. Sie verhindert, dass größere Partikel wie Feinstaub oder Krankheitserreger in die Bronchien gelangen“, erklärt Claus-Michael Lehr, Professor für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie der Universität des Saarlandes und Leiter der Abteilung „Wirkstoff-Transport“ am HIPS. Verantwortlich dafür, dass der Schleim seine Schutzfunktion so gut erfüllen kann, ist sein aus Proteinen bestehendes Gelgerüst, in dem größere Nanopartikel beim Übertritt von einer Kammer in die nächste hängenbleiben. (vgl. PNAS-Veröffentlichung von 2012: http://www.pnas.org/content/109/45/18355.abstract).
Damit werden auch Nanoteilchen, die als „Taxi“ oder „Carrier“ Arzneistoffe transportieren, bei ihrem Weg durch die Atemwege ausgebremst. „Uns interessiert, wie wir es anstellen können, dass Arzneistoffe den Bronchialschleim trotzdem durchdringen können. Doch dazu müssen wir die Struktur des Schleims noch etwas besser verstehen“, erklärt Claus-Michael Lehr. Gemeinsam mit Wissenschaftlern von Saar-Uni und htw saar wurde nun ein weiterer Schritt hin zum besseren Verständnis getan: Die Forscher aus der Physik und der Mathematik haben ein mathematisches Modell entwickelt, das erklärt, wieso der Transport größerer Partikel so stark erschwert ist. „Unser Modell, das in einem Abstraktionsprozess entstanden ist, beschränkt sich auf nur drei Parameter: die Partikelgröße, die Größe der Kammern im Schleim und die Wahrscheinlichkeit der Diffusion von einer Kammer in die nächste“, berichtet der Experimentalphysiker Dr. Thomas John, der in der Arbeitsgruppe von Prof. Christian Wagner forscht.
„Unser Modell kann die Ergebnisse bisheriger Experimente anderer Arbeitsgruppen korrekt beschreiben“, betont Thomas John. Darüber hinaus lässt sich damit beispielsweise vorhersagen, dass nur Kugeln, die kleiner als 30 bis 40 Nanometer sind, den Schleim innerhalb von 15 Minuten durchdringen können. Das aber sei entscheidend, so John, da der Mucus sich alle 15 Minuten völlig neu bilde. Basierend auf dem Modell finden derzeit modifizierte Experimente an der Universität des Saarlandes statt, um die Vorhersagen zu überprüfen. Für mögliche inhalative Medikamente bedeute dieses Ergebnis, dass die Nano-Transportvehikel inklusive ihrer „Fracht“ kleiner als 40 Nanometer sein müssten – und damit zu klein für den Pharmazeuten Claus-Michael Lehr: Für ihn wären Teilchen in der Größenordnung von 100 bis 200 Nanometern ideal. „Aus den mithilfe des neuen Modells gewonnenen Erkenntnissen wollen wir neue Strategien entwickeln, wie Nanocarrier das Gelgerüst des Schleims trotzdem überwinden könnten“, bekräftigt Lehr. Dies könne beispielsweise bedeuten, nicht-kugelförmige Carrier zu verwenden oder Verfahren zu entwickeln, mit denen die „Trennstäbe“ zwischen den Kammern quasi durchschmolzen werden könnten.
Quelle: Universität des Saarlandes