Biophysiker der Ruhr-Universität Bochum haben ein Verfahren etabliert, mit dem sie Biomarker zur Diagnose verschiedener Krebsarten identifizieren können. Mit einer speziellen Form der Infrarot-Spektroskopie detektieren die Forscher Tumorgewebe in einer Biopsie oder Gewebeprobe automatisch und markerfrei (siehe Scientific Reports 2017, Onlineveröffentlichung am 30. März). Anders als bei den derzeit in der Pathologie angewandten markerbasierten Verfahren bleibt das Gewebe dabei unbeschadet. So kann es anschließend besser detaillierten Proteinanalysen unterzogen werden. Dabei erfasst die Spektrale Histopathologie direkt molekulare Veränderungen im Gewebe, insbesondere Proteinveränderungen, ohne dass eine Färbung erforderlich ist. Da sie mit Lichtstrahlen arbeitet, kann der dünne Gewebeschnitt aus der Biopsie anschließend mit weiteren Methoden zur Genom- oder Proteom-Analyse verwendet werden. Anhand von Gewebeproben von Patienten, die an Lungenkrebs und Brustfellkrebs (Mesotheliom) litten, identifizierten die Forscher auf diese Weise Protein-Biomarker, die charakteristisch für die untersuchten Krebsarten sind.
So funktioniert die Spektrale Histopathologie (SHP): Für die SHP zeichnen Forscher ortsaufgelöst Vibrationsspektren des Gewebes mit einem Infrarot- oder Raman-Mikroskop auf. Ein Vibrationsspektrum reflektiert den Zustand aller Proteine im Gewebe an der gemessenen Stelle. Verändern sich die Proteine im Gewebe aufgrund von Krebs, wandelt sich auch das zugehörige Spektrum. Jedes Spektrum ist dabei so charakteristisch für die Proteinveränderung wie ein Fingerabdruck für eine Person. Für ein einzelnes Gewebebild werden insgesamt rund zehn Millionen Infrarot-Spektren aufgenommen. Mit aufwendigen bioinformatischen Bildanalyseverfahren vergleichen die Wissenschaftler diese Spektren mit einer Datenbank von Spektren bereits bekannter Gewebe und Tumore. Jedem Spektrum ordnet das Analyseprogramm einen in der Datenbank hinterlegten Gewebetypen zu, dargestellt durch eine bestimmte Farbe – genauso wie ein Täter durch Abgleich mit einer Datenbank anhand seines Fingerabdrucks identifiziert werden kann.
Mit der vorliegenden Arbeit setzen die Bochumer Wissenschaftler ihre Vision für ein Forschungskonsortium mit dem Namen „Protein Research Unit Ruhr within Europe“ (PURE) in die Tat um. „Erstmals ist der zu Beginn geplante Workflow komplett abgebildet“, erklärt Prof. Dr. Klaus Gerwert, Sprecher von PURE: Die frisch entnommene Gewebeprobe wird sofort gekühlt, zum Studienzentrum gebracht und dokumentiert. Es erfolgt die klassische Diagnostik, die standardmäßig jeder Patient erhält, sowie parallel dazu eine Analyse mit dem Bochumer Verfahren.
Für die Studie arbeiteten die Wissenschaftler mit Gewebeproben sogenannter diffuser maligner Mesotheliome. Dabei verglichen sie zwei Subtypen des Mesothelioms – sarkomatoide und epitheloide Formen. Das diffuse maligne Mesotheliom wird hauptsächlich durch Asbestbelastung ausgelöst. Die Krebsart streut häufig in die Lunge und ist in der Regel tödlich.
Die Wissenschaftler bilden die Verteilung eines Tumors mit einem Infrarot-Mikroskop mit hoher räumlicher Auflösung ab. Klaus Gerwert und Dr. Frederik Großerüschkamp entwickelten dieses Imaging-Verfahren im Rahmen von PURE. Sie können damit verschiedene Subtypen einer Krebsart unterscheiden – eine wichtige Information für Prognose und Therapie. Dafür braucht es weder eine Färbung noch Antikörper, die für die herkömmliche Pathologie notwendig sind. Da das Gewebe unbeschadet bleibt, kann dieselbe Probe weiter auf molekularer Ebene untersucht werden.
Nachdem der Tumor in der Gewebeprobe lokalisiert ist, schneiden die Forscher ihn mit einer speziellen Lasertechnik exakt aus. Am Medizinischen Proteom-Center der Ruhr-Universität, ebenfalls Teil des PURE-Konsortiums, analysierten Experten um Prof. Dr. Barbara Sitek und Prof. Dr. Katrin Marcus mithilfe der Massenspektrometrie die Proteinzusammensetzung des ausgeschnittenen Gewebes.
So können die Wissenschaftler ermitteln, welche der über 2.000 identifizierten Proteine im sarkomatoiden Mesotheliom im Vergleich zum epitheloiden Mesotheliom auffällig vermehrt oder vermindert vorliegen. „Wir können damit individuell für einen Patienten herausfinden, welche Signalwege in den Krebszellen verändert sind“, erklärt Klaus Gerwert. „Und das ist eine wichtige Information für eine präzise Therapie.“
Die so identifizierten Proteine könnten künftig als Biomarker dienen, um die Krebsart bei weiteren Betroffenen zu detektieren. Die auf diesem Weg ermittelten Proteine glichen die Forscher mit denjenigen Biomarkern ab, die derzeit in der klassischen Pathologie genutzt werden. Das Ergebnis: Die Bochumer Methode identifizierte auch die fünf Biomarker, die bereits für die Diagnostik der Mesotheliom-Subtypen eingesetzt werden. „Auf diese Weise haben wir unsere Methode validiert“, erklärt Gerwert. Die PURE-Forscher fanden auch zusätzliche Biomarker. Diese müssen allerdings mit einer größeren Probandengruppe im nächsten Schritt bestätigt werden.
„Der entwickelte markerfreie Ansatz eröffnet die Möglichkeit, zukünftig gezielter nach Biomarkern zu suchen“, fasst Frederik Großerüschkamp zusammen. Gerwert und Kollegen wollen die Methode nun auf andere Krebsarten anwenden und so neue Biomarker identifizieren. „Unser Ziel ist es, die im Gewebe identifizierten Biomarker auch in Körperflüssigkeiten wie Blut und Urin wiederzufinden“, so Gerwert, Leiter des Lehrstuhls für Biophysik. „Das würde eine nicht invasive, präzise und prädiktive Diagnose mithilfe eines einfachen Antikörpertests ermöglichen.“
Quelle: Ruhr-Universität Bochum