Die chronische Entzündung der Atemwege bei Mukosviszidose geht nicht allein auf das Konto von Bakterien. Auch abgestorbene Zellen, die dem Sauerstoffmangel in den von Schleim verstopften Atemwegen zum Opfer gefallen sind, lösen eine heftige Reaktion des Immunsystems aus. Dies zeigten Wissenschaftler des Zentrums für Translationale Lungenforschung Heidelberg erstmals an Mäusen mit einer der Mukoviszidose vergleichbaren Lungenerkrankung. Sie fanden außerdem heraus, welcher Signalweg diese Immunreaktion auslöst und wie er sich blockieren lässt: Ein Medikament, das für die Behandlung rheumatischer Gelenkentzündungen zugelassen ist, unterdrückt im Mausmodell auch Entzündungen, die durch die abgestorbenen Zellen hervorgerufen werden (siehe American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Online-Vorabveröffentlichung am 21. Januar 2015).
An Mukoviszidose, einer der häufigsten tödlich verlaufenden Erbkrankheiten, leiden deutschlandweit rund 8.000 Menschen. Die angeborene Multiorganerkrankung ist nicht heilbar. Fehler an einer bestimmten Stelle im Erbgut lassen die Sekrete in den Atemwegen und Organen des Verdauungstrakts austrocknen und führen so zu schweren Funktionsstörungen von Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm. Zäher Schleim verstopft die Atemwege, begünstigt chronische Entzündungen und Infektionen. Diese zerstören die feinen Strukturen des Lungengewebes und verursachen bleibende Schäden. Je länger sich dieser Prozess hinauszögern lässt, desto besser die Prognose. Derzeit liegt die mittlere Lebenserwartung der Patienten in Deutschland bei rund 40 Jahren.
Bisher gingen Mediziner davon aus, dass chronische Entzündungen der Atemwege bei Mukoviszidose sowie anderen chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen wie der COPD überwiegend die Folge einer Infektion mit Bakterien oder Viren ist. Stutzig machten neuere Untersuchungen aus Australien: Bei Säuglingen mit Mukoviszidose war zwar bereits in den ersten Lebensmonaten eine Atemwegsentzündung, allerdings häufig noch kein Bakterienbefall nachweisbar. „Aus anderen Organen kennen wir Entzündungen, die nicht durch eine Infektion mit Erregern verursacht werden. Sie kommen z.B. nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall vor, wenn in Herz oder Gehirn Zellen durch Sauerstoffmangel zugrunde gehen“, erklärt Professor Dr. Marcus Mall, Ärztlicher Direktor der Abteilung Translationale Pneumologie am Zentrum für Translationale Lungenforschung Heidelberg (TLRC), einem Standort im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL), und Leiter des Mukoviszidose-Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg.
Eine wichtige Rolle bei diesen „keimfreien“ Entzündungen spielt der Botenstoff Interleukin-1, der aus den absterbenden Zellen freigesetzt wird und eine Immunantwort hervorruft. Diesen Botenstoff wiesen die Heidelberger Wissenschaftler nun erstmals auch im Lungengewebe von Mäusen mit einer der Mukoviszidose vergleichbaren chronischen Lungenerkrankung nach. „Durch die Schleimpfropfen in den Atemwegen kommt es zu einem Sauerstoffmangel in den dahinter liegenden Lungenabschnitten. Dort sterben dann Zellen ab“, so Mall. „Je schlimmer die Verschleimung, desto mehr tote Zellen.“ In den erkrankten Lungen ersticken kontinuierlich Zellen, die Entzündung kommt daher nie zur Ruhe.
Bei Mäusen mit Mukoviszidose-ähnlicher Lungenerkrankung, denen durch eine genetische Veränderung der Rezeptor für Interleukin-1 fehlte, kam es trotz Verschleimung kaum zu Entzündungen in der Lunge. Bei ihnen lief der Signalweg ins Leere, die absterbenden Zellen lösten keine Immunantwort aus. Die Lungenfunktion blieb erhalten und die Lebenserwartung verbesserte sich deutlich. Für den Lungen-Experten Mall bedeutet das: „Dieser neu entdeckte Krankheitsmechanismus um Interleukin-1 spielt möglicherweise eine entscheidende Rolle in der Chronifizierung und im Fortschreiten der Lungenerkrankung bei Mukoviszidose und COPD. Damit tun sich neue Behandlungsmöglichkeiten auf.“ Patienten erhalten bei Lungenentzündung derzeit Antibiotika gegen die Infektion. Sind keine Bakterien im Spiel, sind Antibiotika aber nutzlos.
Ein passendes Medikament gegen den neuen Entzündungsmechanismus gibt es bereits: Der Wirkstoff Anakinra wird bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie der rheumatischen Arthritis gespritzt und blockiert die Interleukin-Andockstelle, den IL-1-Rezeptor. Bei erwachsenen, chronisch lungenkranken Mäusen linderte das Medikament die Entzündungen und verringerte so die Zerstörung des Lungengewebes. Ob Anakinra auch bei Patienten mit Mukoviszidose als entzündungshemmende Therapie wirksam ist, muss noch in klinischen Studien geprüft werden.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg