Anstatt sich Spritzen zu verabreichen, werden Patienten in Zukunft ihre Medikamente vielleicht inhalieren, also schmerzfrei einatmen, können. Die Grundlagen hierfür werden jetzt in einem breit angelegten, interdisziplinären Forschungsprojekt entwickelt, für das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2,4 Millionen Euro bewilligt hat. Insgesamt sieben Arbeitsgruppen kooperieren bei der Erforschung der "Polymeren Nanocarrier zur pulmonalen Verabreichung von Wirkstoffen (Nanohale)". Im Einzelnen sind diese tätig im Lungenzentrum Gießen an der Justus-Liebig-Universität Gießen (University of Giessen Lung Center, UGLC), im Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie und im Fachbereich Chemie an der Philipps-Universität Marburg, sowie im GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in München.
Partikel, Fasern und Röhren im Nano-Format
Ziel des Projektes sind "Medikamente zum Einatmen". Hierfür sollen neue Trägersysteme, so genannte Carrier, entwickelt werden, die - mit Wirkstoffen beladen - vom Patienten eingeatmet werden können. „Nicht die Wirkstoffe selbst sind neu", erklärt Prof. Dr. Thomas Kissel, Direktor des Instituts für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie in Marburg und Sprecher der DFG-Forschergruppe. „Vielmehr geht es darum, dass wir mittels geeigneter Trägermaterialien die zeitliche und räumliche Verteilung der Wirkstoffe direkt vor Ort in der Lunge steuern können." Hierzu wollen die Forscher Nano -Objekte mit verschiedensten Eigenschaften entwickeln: Partikel, Fasern und Röhren sowie Molekülkomplexe im Nano -Format sollen abhängig von ihrer Zusammensetzung, Struktur und Dimension auf jeweils spezifische Art mit den Gewebezellen in der Lunge in Wechselwirkung treten, um dort ihre Medikamentenfracht abzugeben.
„Translationale" Lungenforschung – ein innovatives Forschungskonzept
Die interdisziplinäre Forschergruppe, die sich aus Grundlagenwissenschaftlern, Pharmazeuten, Medizinern und Materialwissenschaftlern zusammensetzt, arbeitet praxisorientiert und "translational", das heißt sie "übersetzt" Erkenntnisse der Grundlagenwissenschaften systematisch in innovative Therapien verschiedenster Lungenkrankheiten. Dieses moderne Forschungskonzept hat das Lungenzentrum Gießen in der Vergangenheit bereits äußerst erfolgreich angewendet. Jetzt hofft man durch gezielte Veränderung von Materialeigenschaften der Nano -Objekte weitere neue und effizientere Therapien für Lungenkrankheiten zu entwickeln. Die Lungenforscher werden dazu in vergleichenden Untersuchungen auf Organ- und Zellebene die Reaktion auf unterschiedliche Nano -Objekte überprüfen.
Die Vielfalt der Arbeitsansätze
Ein Teilprojekt der Gießener Lungenforscher unter der Leitung von Dr. Ludger Fink und Prof. Friedrich Grimminger untersucht dabei neue gentherapeutische Ansätze für verschiedene Lungenkrankheiten. „Die fehlende Erbinformation in die menschliche Zelle zu bringen ist das Ziel. Wir suchen nach geeigneten, gut verträglichen Vektoren, die als Aerosol eingeatmet werden können, um das Gen optimal zu übertragen", erläutert Dr. Fink. Mit so genannten Polyethylenimine(PEI)-Nanokomplexen hofft er vielversprechende nicht-virale Vektoren gefunden zu haben. Die Arbeitsgruppe um Dr. Tobias Gessler, Dr. Thomas Schmehl und Prof. Werner Seeger vom Lungenzentrum Gießen wird sich damit beschäftigen, wie sich die Freisetzung von Medikamenten in der Lunge zeitlich und örtlich kontrollieren lässt. Und am GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in München wollen die Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Dr. Holger Schulz toxikologische Aspekte der Nanotechnologie untersuchen.
Die Lücke in der deutschen Forschungslandschaft schließen
Mit Nanohale wollen die Marburger, Giessener und Münchener Forscher auch eine Lücke in der deutschen Forschungslandschaft schließen: „Während die USA und Japan das so genannte „ bereits sehr stark fördern, ist die Schnittstelle zwischen Nano -Materialien und deren medizinischer Anwendung in Deutschland noch wenig untersucht," unterstreicht Prof. Friedrich Grimminger vom Lungenzentrum Gießen die Bedeutung der DFG-Forschergruppe. „Nanohale ist der derzeit größte deutsche Forschungsverbund, der sich diesem Thema widmet.“
Quellen:
- Justus-Liebig-Universität Gießen
- Giessener Allgemeine (2006-02-09)