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Mit elektronischem „Personaltrainer“ wieder selbständig atmen lernen

Beatmungspatienten können von einer medizintechnischen Neuentwicklung aus Kanada profitieren und so die Entwöhnung vom Beatmungsgerät beschleunigen.

Zur Entwöhnung eines COVID-19-Patienten vom Beatmungsgerät (engl.: weaning) wurde im Juli 2020 eine spezielle Zwerchfellstimulationstherapie erfolgreich an der Universitätsmedizin Greifswald eingesetzt.  Das seitdem weiterentwickelte Neurostimulationssystem der neusten Generation namens AeroPace™, das ab sofort für geeignete Beatmungspatienten eingesetzt werden kann, wurde jetzt in Greifswald vorgestellt.

„Wir haben an der Unimedizin umfangreiche Erfahrungen mit der Elektrostimulation des Zwerchfells sammeln können“, betont Prof. Dr. Ralf Ewert, der Leiter des Bereichs Pneumologie, Infektiologie und des Weaningzentrums an der Universitätsmedizin Greifswald. „Durch die Coronapandemie haben wir weitaus mehr Frauen und Männer, die intensivmedizinisch betreut werden müssen und vorrübergehend auf eine künstliche Beatmung angewiesen sind. Im Gesamtspektrum der Bemühungen zur Entwöhnung der Patienten von der Langzeitbeatmung nimmt diese Methode zunehmend einen festen Platz ein. Die bisherigen Ergebnisse sind aus Sicht unseres Behandlungsteams vielversprechend. Es ist zudem sehr erfreulich, dass das System innerhalb kurzer Zeit grundlegend weiterentwickelt und praxistauglicher gemacht werden konnte.“

Zwerchfellfunktionsstörungen werden häufig beim Absetzen von der invasiven mechanischen Beatmung beobachtet. Beatmungsgeräte verwenden Überdruck, um Luft in die Lungen zu pressen, so dass der Hauptatemmuskel, das Zwerchfell, nicht beansprucht wird. Vor allem bei einer längeren Beatmungszeit verliert das Zwerchfell, eine Platte aus Muskeln und Sehnen zwischen Brustraum und Bauchraum, an Kraft und Funktionsfähigkeit. Es droht eine sogenannte beatmungsinduzierte Zwerchfellfunktionsstörung. Hier setzt das Verfahren aus Kanada an, das seit zwei Jahren weltweit intensiv getestet wird. Über einen Katheter werden das Zwerchfell und die Zwerchfellnerven elektronisch stimuliert, um die Zwerchfellmuskelstärke wieder aufzubauen und eine natürliche, unabhängige Atmung zu ermöglichen.

Inzwischen wurde die gesamte mobile Konsole mit dem Steuergerät optimiert und somit die Vorbereitung auf die Therapie deutlich verkürzt. Es erfolgt nun ein fast automatisierter Vorgang bei der Behandlung mit der Elektrostimulation. Der Katheter kann mittels angeschlossenem EKG platziert werden, so dass auch keine Röntgenaufnahme des Brustkorbs mehr erforderlich ist. Während der Katheter vorher „nur“ das Zwerchfell stimulieren konnte, ist er jetzt auch zur Infusion von Medikamenten- und Flüssigkeiten bei Intensivpatienten geeignet.

Durch die technisch veränderten Elektroden am Katheter erfolgt eine bessere Ankopplung an die Zwerchfellnerven. Die AeroPace-Neurostimulationskonsole sendet ein Signal an die Elektroden am AeroPace-Katheter, um den Zwerchfellnerv zu stimulieren. Wie bei einem Personaltrainer kann die Trainingsintensität angepasst werden, um je nach individueller Lage wiederholte Übungen für den Zwerchfellmuskel durchzuführen.

„Wir werden sicher auch außerhalb der laufenden klinischen Studie diese Methode weiter zur Anwendung bringen, da wir von der Wirksamkeit überzeugt sind. Die Elektrostimulation des Zwerchfells stellt nach unseren Erfahrungen eine sinnvolle Ergänzung der umfangreichen Bemühungen zum Entwöhnen von der Langzeitbeatmung dar“, so der Pneumologe. „Das Ziel ist die deutliche Reduzierung der künstlichen Beatmungszeit.“

Das innovative System, mit dem eine schnellere Unabhängigkeit vom Beatmungsgerät erreicht werden soll, ist derzeit in Deutschland nur im Rahmen von Studien verfügbar. Weltweit sind bisher die Untersuchungsdaten von 175 Beatmungspatienten in der sog. RESCUE-3-Studie erfasst und ausgewertet worden, 35 davon aus Greifswald. Die Universitätsmedizin Greifswald ist damit weltweit das führende Studienzentrum für das neue Verfahren.

Quelle: Universität Greifswald