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Mehr über die chemischen Effekte von Luftschadstoffen auf die Atemwege

Forscher entwickeln ein Modell, das die chemische Exposition-Wirkungsbeziehung zwischen Luftschadstoffen und reaktiven Sauerstoffverbindungen in der Oberflächenflüssigkeit der Atemwege liefert.

Luftverschmutzung kann zu oxidativem Stress und negativen Auswirkungen auf die Gesundheit wie Asthma und andere Atemwegserkrankungen führen. Die meisten Schadstoffe enthalten Oxidantien, die im Zusammenspiel mit Sauerstoff zur Bildung aggressiver Sauerstoffradikale führen. Die zugrunde liegenden chemischen Prozesse sind bisher jedoch nicht gut charakterisiert. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und der University of California in Irvine (USA) haben jetzt ermittelt, wie die chemischen Wirkungsbeziehungen zwischen Umgebungskonzentrationen von Luftschadstoffen und den Produktionsraten und Konzentrationen von reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS) in der Epithel-Oberflächenflüssigkeit (ELF) der menschlichen Atemwege sind (siehe Nature Scientific Reports, Online-Veröffentlichung am 9.9.2016). Sie fanden heraus, dass Ozon und Feinstaub (der Metallionen und organische Aerosole enthält) in stark verschmutzten Umgebungen die ROS-Konzentrationen in der ELF auf Werte erhöhen können, die charakteristisch für Atemwegserkrankungen sind. Die neuen chemischen Exposition-Wirkungsbeziehungen liefern eine quantitative Grundlage, um die Bedeutung spezifischer Luftschadstoffe in verschiedenen Regionen der Welt zu bewerten.

Die anthropogene Luftverschmutzung führt auf lokaler, regionaler und globaler Ebene zu einem massiven Anstieg von atmosphärischen Aerosolpartikeln und Spurengasen. So kann die Konzentration von Feinstaub mit Partikeldurchmessern kleiner als 2,5 Mikrogramm (PM2,5) in der verschmutzten Luft von Ballungsräumen bis zu mehreren hundert Mikrogramm pro Kubikmeter betragen. Dies ist zehn bis hundert Mal höher als beispielsweise in der reinen Luft eines Regenwaldes.

Feinstaub enthält in der Regel chemische Komponenten, die Oxidationsreaktionen auslösen können. Solche Bestandteile sind Metalle wie Kupfer und Eisen aber auch organische Verbindungen, die aus Verkehrsemissionen, Zigarettenrauch und anderen Quellen stammen. Werden sie eingeatmet und im menschlichen Atemtrakt abgelagert, können sie Radikal-Reaktionszyklen auslösen und aufrecht erhalten, durch die reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS) in der Epithel-Oberflächenflüssigkeit (ELF) gebildet werden. Diese Schicht bedeckt die Atemwege und die Lungenbläschen.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass eine übermäßige Konzentration an ROS - wie Wasserstoffperoxid (H2O2) und Hydroxylradikalen (OH) - oxidativen Stress verursachen kann. Das wiederum kann Zellen und Gewebe des Atemtrakts verletzten. Um zu verstehen, wie genau Luftverschmutzung zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen wie Asthma, Allergien und anderen Atemwegserkrankungen führt, ist die Charakterisierung der ROS-Bildung somit von entscheidender Bedeutung. Allerdings wurden die ROS-Produktionsraten und Konzentrationen, die durch Luftschadstoffe in der Epithel-Oberflächenflüssigkeit (ELF) entstehen, bisher kaum quantifiziert.

Diese Lücke haben die Wissenschaftler aus Mainz und Irvine jetzt mit ihrer Studie geschlossen: „Wir können nun die bisher unbekannten ROS-Produktionsraten und charakteristischen Konzentrationen ermitteln, die in der Oberflächenflüssigkeit der Atemwege durch Luftschadstoffe erzeugt werden. Dazu benutzen wir ein neues detailliertes Computermodell, das alle relevanten chemischen Reaktionen abbildet“, erklärt Pascale Lakey, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz.

In der Reinluft von Regenwäldern liegen die PM2,5-Konzentrationen typischerweise unter 10 Mikrogramm pro Kubikmeter (g m-3). Unter solchen sehr sauberen Bedingungen bewirkt die geringe ROS-Menge, die durch inhalierten Feinstaub chemisch erzeugt wird, keinen oxidativen Stress. Die Konzentration ist kleiner als der natürliche, physiologische ROS-Hintergrundpegel in der ELF, der bei etwa 100 Nanomol pro Liter liegt. In mäßig verschmutzter Luft mit PM2.5-Werten zwischen 10 und 50 Mikrogramm pro Kubikmeter ist die durch Partikel erzeugte ROS-Menge ähnlich oder größer als der physiologische Hintergrundpegel. Sie kann in Abhängigkeit von der Konzentration und der chemischen Zusammensetzung der Aerosolpartikel zu oxidativem Stress führen. In stark verschmutzter Luft mit PM2.5-Werten über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter ist die durch Partikel erzeugte ROS-Konzentrationen so hoch, wie man sie beispielsweise in der ELF von Patienten mit akuten entzündlichen Erkrankungen der Atemwege findet (bis zu 250 nmol pro Liter). Außerdem kann eingeatmetes Ozon aus der Umgebungsluft den oxidativen Stress zusätzlich erhöhen, da es Antioxidantien wie zum Beispiel Ascorbinsäure in der ELF zerstört.

Die Modellergebnisse stimmen überein mit Epidemiologie-basierten Luftqualitätsstandards und Vorschriften der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und verschiedenen nationalen Umweltschutzbehörden. Diese zielen darauf ab, dass PM2,5-Konzentrationen von weniger als 20 bis 40 Mikrogramm pro Kubikmeter über einen Tag gemittelt und weniger als 10 bis 20 Mikrogramm pro Kubikmeter über ein Jahr gemittelt eingehalten werden.

„Unsere Studie liefert den ersten quantitativen Ansatz, um die chemische Wirkung und die Bedeutung von bestimmten Luftschadstoffen und einzelnen Feinstaubkomponenten wie Kupfer, Eisen, organische Aerosole und Ozon zu beurteilen", erklärt Manabu Shiraiwa, Assistenzprofessor an der University of California in Irvine.

In Übereinstimmung mit toxikologischen Untersuchungen zeigen die Modellrechnungen der Forscher weiterhin, dass Kupfer- und Eisen-Ionen zu den gefährlichsten Komponenten von Feinstaub gehören. Sie stammen überwiegend aus Verkehrsemissionen wie Brems- und Reifenabrieb, was diese zu besonders relevanten Zielen für die Luftreinhaltung macht. Die Wissenschaftler erwarten, dass die neuartigen Exposition-Wirkungsbeziehungen und zusätzliche Modellrechnungen dazu beitragen werden, effiziente Kontrollstrategien gegen Luftverschmutzung zu entwickeln. Sie ermöglichen eine quantitative Abschätzung, um wie viel man die Emissionen und Umgebungskonzentrationen spezifischer Luftschadstoffe wie Kupfer, Eisen, organische Verbindungen oder Ozon verringern müsste, um die durch Luftverschmutzung erzeugte ROS-Menge im menschlichen Atmungstrakt zu reduzieren. Dabei berücksichtigt das detaillierte chemische Modell auch nichtlineare Wechselwirkungen und Konzentrationsabhängigkeiten unter verschiedenen Umweltbedingungen.

„Wir können basierend auf dem neuen Modell und den damit erhaltenen Exposition-Wirkungsbeziehungen weiter aufklären, welche Stoffe und Prozesse für die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Luftschadstoffen am wichtigsten sind. Dies wird dazu beitragen, effiziente Strategien der Luftqualitätskontrolle für unterschiedliche Umgebungen zu entwickeln. Außerdem hilft es, die großflächigen und langfristigen Auswirkungen von regionaler und globaler Luftverschmutzung auf die menschliche Gesundheit zu verstehen", meint Ulrich Pöschl, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz.

„Im Lauf des Anthropozäns, des gegenwärtigen Zeitalters des global allgegenwärtigen und steil ansteigenden menschlichen Einflusses auf den Planeten Erde, sind die durchschnittlichen Konzentrationen von Ozon und Feinstaub in besiedelten Gebieten um ein Vielfaches dessen gestiegen, wie sie in vorindustrieller Zeit waren“, erläutert Pöschl. Man schätzt, dass die starke Zunahme von Luftschadstoffen jedes Jahr Millionen vorzeitiger Todesfälle verursacht und neben einer Erhöhung der Mortalität auch eine Zunahme chronisch-entzündlicher Erkrankungen bewirkt.

Besonders interessiert die Forscher, wie sich die Luftverschmutzung auf die Entwicklung und die zunehmende Verbreitung von Allergien auswirkt. Dieser Frage gehen sie gemeinsam mit biomedizinischen Kollegen im Mainzer Zentrum für chemische Allergologie (MCCA) und mit internationalen Partnern nach. Um diese und andere gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung vollständig zu verstehen und zu quantifizieren, sind sowohl weitere experimentelle Untersuchungen als auch Modellstudien erforderlich. Hierfür bieten der neue Modellierungsansatz und die Expositions-Wirkungsbeziehungen dieser Studie eine Grundlage und vielversprechende Perspektiven.

Quelle: Max-Planck-Institut für Chemie