Schätzungsweise vier bis sechs Millionen Menschen sind allein in Deutschland an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) erkrankt. An der Entwicklung dieser Krankheit scheint ein bisher unauffälliger Bakterienstamm offenbar entscheidend beteiligt zu sein, berichten Wissenschaftler der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Die so genannten Moraxellen besiedeln bei etwa fünfzig Prozent aller COPD-Kranken die unteren Atemwege. Über welchen Mechanismus die Moraxellen den Krankheitsverlauf der COPD beeinflussen beschreibt Dr. Hortense Slevogt von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie am Campus Virchow-Klinikum in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature Immunology (2008, Band 9/11, Seite 1270-1278) gemeinsam mit ihren Kollegen aus Essen, München und dem schwedischen Malmö: Die Bakterien aktivieren einen bestimmten Rezeptor (CEACAM 1) und verändern dadurch zu ihren Gunsten die Kommunikation und das Zusammenspiel mit einem weiteren Rezeptor (TLR 2), der im Zentrum des körpereigenen Abwehrsystems steht und dessen Aufgabe es eigentlich ist, eindringende Bakterien zu erkennen und zu bekämpfen.
„Wir konnten zeigen, dass es den Moraxellen durch die Bindung an CEACAM 1 gelingt, die durch TLR 2 hervorgerufene Antwort des Immunsystems abzuschwächen“, berichtet Slevogt. „Die Bronchialschleimhaut reagiert zwar mit einer Entzündung, aber diese ist anscheinend zu schwach, um die Bakterien zu vernichten.“ Slevogt vermutet, dass es den Moraxellen aus diesem Grund gelingt, längere Zeit in den Bronchien der COPD-Patienten zu bleiben und damit zu einer chronischen Belastung für die Lunge zu werden.
Die Wissenschaftler entnahmen menschliche Schleimhautzellen aus dem Bronchialtrakt und infizierten sie im Labor mit Moraxellen. Dann wiederholten sie den Vorgang mit genveränderten Moraxellen, denen die Fähigkeit, den Rezeptor CEACAM 1 zu aktivieren, genommen war. Ergebnis: Bei den veränderten Bakterien reagierte das Abwehrsystem der Zelle mit einer heftigen Entzündung - bei den echten (gen-unveränderten) Moraxellen verlief diese hingegen wesentlich schwächer. Die Berliner Wissenschaftler möchten nun weitere Untersuchungen zur Rolle der Moraxellen bei der COPD anschließen. „Wenn es gelingt, die Wirkung der Moraxellen auf TLR 2 zu imitieren, dann wäre das vielleicht ein neuer Weg, um die Antwort des Immunsystems gezielt zu schwächen“, meint Prof. Norbert Suttorp, Leiter der Klinik. „Das wäre nützlich bei jeder Erkrankung, die mit einer zu starken Entzündung einhergeht.“