Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen Lungenkrankheiten häufig sind, die Ärzte in Deutschland nur selten sehen. Die Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie (DGT) rechnet daher mit einem Anstieg von Erkrankungsfällen, die unter Umständen komplizierte Behandlungen erforderlich machen oder für die hiesigen Mediziner schwierig zu diagnostizieren sind. Darauf weisen Lungenspezialisten anlässlich des 133. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) vom 26. bis 29. April 2016 in Berlin hin.
Nachdem die Tuberkulose in Deutschland über viele Jahre rückläufig war, wurde im vergangenen Jahr ein deutlicher Anstieg der Erkrankungszahlen gemeldet. Die Zunahme ist die Folge des Screenings von Asylsuchenden aus Ländern, in denen die Tuberkulose weitaus häufiger ist als in Deutschland. „Die Misere in den Heimatländern und die Strapazen während der Reise tragen sicherlich dazu bei, dass eine latente Infektion sich zur offenen Lungentuberkulose entwickelt“, erklärt Dr. med. Gunda Leschber, Präsidentin der DGT. Beim Eintreffen in Deutschland sei die Erkrankung dann unter Umständen so weit fortgeschritten, dass eine medikamentöse Behandlung allein die Tuberkulose nicht mehr kurieren kann. In diesem Fall müssten die zerstörten Lungenabschnitte operativ entfernt werden. „Bislang sind derartige Resektionen eine Rarität, die bei weniger als einem Prozent der Erkrankten notwendig wurden“, so Leschber. In den zurückliegenden Jahren sei es jedoch weltweit zu einem Anstieg gekommen. „Gründe waren die unzureichende medikamentöse Therapie und die Ausbreitung von multiresistenten Tuberkuloseerregern“, fügt die Chefärztin der Thoraxchirurgischen Klinik der Evangelischen Lungenklinik Berlin hinzu. „Wir rechnen damit, dass auch in Deutschland die Operationszahlen steigen werden.“
Eine weitere Erkrankung, die in Deutschland demnächst öfter auftreten könnte, ist die Echinokokkose, eine Infektion mit dem Fuchsbandwurm. „Der Parasit ist in der Türkei und im Nahen Osten stark verbreitet“, berichtet Dr. Leschber. „Wenn Flüchtlinge auf ihrer Wanderung ungewaschene Nahrungsmittel zu sich nehmen, können sie sich leicht kontaminieren.“ Die Erkrankung tritt häufig erst nach vielen Jahren auf, wenn sich in der Leber oder der Lunge Zysten gebildet haben. Die Behandlung besteht in der vorsichtigen Entfernung der Zysten – eine schwierige Operation, da die Zysten als Ganzes entfernt werden müssen. „Bei einer Beschädigung kann es zu allergischen Reaktionen oder zu einer Ausbreitung des Bandwurms kommen“, warnt Leschber.
Andere Erkrankungen wiederum könnten zu falschen Diagnosen verleiten. Bei der Sichelzellanämie etwa, einer in Afrika verbreiteten genetischen Erkrankung, kommt es häufig zu starken Brustschmerzen und Kurzatmigkeit. „Das akute Thoraxsyndrom ist leicht mit einer Lungenentzündung zu verwechseln, denn oft zeigen sich im Röntgenbild des Thorax-Infiltrate“, erläutert Leschber. Die Patienten benötigen Sauerstoff, Flüssigkeit und starke Schmerzmittel, bis die Krise vorüber ist. „Operationen oder auch Beatmung müssen möglichst vermieden werden, da sie nur zu einer Verschlimmerung führen“, so Leschber.
Auch bei uns seltene Enzymdefekte wie der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, der zu einer Veränderung des Zuckerstoffwechsels und zu einer vermehrten Zerstörbarkeit der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) führt, finden sich gehäuft bei Mittelmeeranrainern oder Bewohnern Afrikas. Die Verabreichung von Medikamenten oder Operationen können hier zu schweren Krisen führen, weil große Mengen an Erythrozyten zerfallen.
Sowohl die Sichelzellenanämie als auch der Enzymdefekt sind in Deutschland derzeit fast unbekannt. „Wir sind gut beraten, uns auf diese Krankheitsbilder vorzubereiten, um die richtige Behandlung anbieten zu können“, meint die DGT-Präsidentin.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)