Um stark übergewichtige (adipöse) Patienten zu untersuchen und zu behandeln, die aufgrund eines akuten Atemversagens (acute respiratory failure = ARF) beatmet werden müssen, haben Ärzte am Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston (MA, USA) ein spezialisiertes pneumologisches Notfall-Team (Lung Rescue Team) eingerichtet. Dadurch hat sich in dieser Patientengruppe das Mortalitätsrisiko im Vergleich zur Standardbehandlung erheblich verringert: Es sank für bis zu einem Jahr um die Hälfte, berichten die Mediziner (siehe Critical Care, Online-Veröffentlichung am 15.1.2020).
„Unsere umfangreichen Untersuchungen in den vergangenen zehn Jahren haben gezeigt, dass Standardprotokolle für die Behandlung von Patienten mit Adipositas und akutem Atemversagen, die eine Beatmungsunterstützung benötigen, für die Oxygenierung nicht ausreichen“, berichtet Dr. Lorenzo Berra, der in der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin des MGH forscht und korrespondierender Autor der aktuellen Arbeit ist. „Der Grund ist, dass übermäßiges Gewebe den Druck auf die Lunge erhöht, sodass sie sich nicht ausdehnen können.“
„Das Lung Rescue Team beurteilt sorgfältig die Physiologie der Atemwege, der Lunge und des Herzens jedes Patienten. Basierend auf den so gewonnenen Erkenntnissen kann eine spezielle Beatmungsstrategie implementiert werden, die den nachteiligen Auswirkungen eines erhöhten Pleuradruckes entgegenwirkt. Dies führt dann zu einer erneuten Ausdehnung der Lunge.“
Das Lung Rescue Team wurde im Jahr 2014 als gemeinsame Initiative der Abteilungen für Beatmungsmedizin und Intensivmedizin des MGH gegründet. Das Team besteht aus einem Intensivmediziner und zwei Ärzten in der Weiterbildung zum Intensivmediziner, die in der Herz-Lungen-Physiologie ausgebildet sind. Sie beraten sich zu adipösen Patienten mit ARF innerhalb von 24 Stunden nach deren Aufnahme auf der Intensivstation.
Zu den von ihnen eingesetzten Verfahren gehört die Ösophagusmanometrie zur Bestimmung des intrapleuralen Drucks im Thorax, die transthorakale Echokardiographie zur Bestimmung der Herzfunktion während der mechanischen Beatmungsmanipulation und die und elektrische Impedanztomographie (EIT), um die regionale Verteilung der Beatmung zu messen und den Grad des Lungenkollapses und der Überdehnung zu bestimmen.
Trotz des rasch zunehmenden Vorkommens von Adipositas in den USA sei die MGH-Studie die erste, die eine personalisierte Behandlung von Atemversagen (acute respiratory failure = ARF) in dieser Population beurteilt, berichten die Autoren. Während der fünfjährigen Untersuchung ermittelte das Lung Rescue Team die Einstellungen der Beatmungsgeräte auf der Intensivstation bei 50 Patienten mit schwerer Adipositas (Klasse III; Body-Mass-Index >40 kg/m2). Bei 70 weiteren, vergleichbaren Patienten zog man Standardprotokolle aus der ARDSnet-Studie aus dem Jahr 2000 (Respiratory Research, Online-Veröffentlichung am 31.8.2000) heran, von der Patienten mit Adipositas ausgeschlossen worden waren. Obwohl diese Patientengruppe in der ARDSnet-Studie nicht berücksichtigt worden waren, wurden die Studienergebnisse auf Patienten aller Gewichtsgruppen angewendet.
Die MGH-Studie ergab nun, dass die Kohorte, deren Behandlung auf dem ARDSnet-Protokoll basierte, nach 28 Tagen eine Sterblichkeitsrate von 31 Prozent aufwies, verglichen mit 16 Prozent bei Patienten, die vom Lung Rescue Team betreut wurde. Nach drei Monaten betrug die Sterblichkeitsrate für die Kohorte mit ARDSnet-Standardprotokoll 41 Prozent, verglichen mit 22 Prozent für die Gruppe des Lung Rescue Teams. Nach einem Jahr waren die Sterblichkeitsraten in beiden Gruppen unverändert.
„Das Eingreifen des Lung Rescue Teams ist verantwortlich für eine bemerkenswerte Verbesserung der Atemmechanik und der Sauerstoffversorgung von Personen mit Übergewicht und akutem Atemversagen“, fasst Berra zusammen. „Durch die Reaktion auf die besonderen Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe hilft das Lung Rescue Team, Leben zu retten.“ Nun wird die Durchführung einer multizentrischen Studie anvisiert.
Quelle: Biermann Medizin vom 17.1.2020