In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Antibiotika-resistente Stämme der Tuberkulosebakterien dramatisch ausgebreitet. In einigen Ländern Osteuropas werden bereits mehr als 40 Prozent aller Tuberkulosefälle durch multiresistente Bakterienstämme (MDR-TB) verursacht. Die Behandlung der immer weiter verbreiteten multiresistenten Tuberkulose ist nebenwirkungsreich, teuer und vor allem langwierig. Seit Mai 2016 empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Kurzzeittherapie für betroffene Patienten, vorausgesetzt die Bakterien sind gegen alle eingesetzten Medikamente empfindlich. Studien der DZIF-Wissenschaftler vom Forschungszentrum Borstel zeigen allerdings, dass eine solche Kurzzeittherapie in Europa nur noch in wenigen Fällen erfolgreich einsetzbar ist (siehe American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Online-Vorabveröffentlichung am 29.9.2016).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte bisher empfohlen, dass Patienten mit einer MDR-TB mit mindestens vier verschiedenen Medikamenten über mindestens 20 Monate täglich behandelt werden. In Studien aus Bangladesch, Niger und Kamerun konnte aber jüngst gezeigt werden, dass mit einer bestimmten Kombinationstherapie von Tuberkulosemedikamenten (anfänglich sieben verschiedene Präparate in Kombination) nur neun bis zwölf Monate einer Behandlung ausreichen, um mehr als 80 Prozent aller betroffenen Patienten zu heilen. Die WHO empfiehlt daher seit Mai 2016 eine Kurzzeittherapie für die betroffenen Patienten in allen Ländern, wenn die Bakterien gegen alle Medikamente der Behandlung auch empfindlich sind.
DZIF-Wissenschaftler vom Forschungszentrum Borstel haben in den letzten Jahren die Ausbreitung multiresistenter Stämme der Tuberkulosebakterien in Europa genauer untersucht und dabei festgestellt, dass die Bakterien, die sich in Europa verbreiten, gegen besonders viele Antibiotika resistent sind. Sie verglichen nun das Niveau der Antibiotikaresistenz von Tuberkulosebakterien bei mehr als 1000 MDR-TB-Patienten aus Europa.
Die Ergebnisse zeigen, dass über 92 Prozent aller betroffenen Patienten in Europa nicht für die Kurzzeittherapie in Frage kommen, da die Bakterien bereits gegen mindestens eines der Medikamente resistent sind. „Ohne detaillierte Kenntnisse der Antibiotikaresistenz der Tuberkulosebakterien sollte kein Patient in Europa eine Kurzzeittherapie erhalten“, empfiehlt daher Prof. Christoph Lange, Leiter der Studie am Forschungszentrum Borstel. „Wenn einzelne Medikamente in einer Therapie nicht wirksam sind, führt das zu einer weiteren Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. Statt einer einheitlichen Behandlung führen individuelle Therapien zu besseren Behandlungsergebnissen“, betont Lange. Mit Unterstützung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung arbeiten die Borsteler Wissenschaftler an maßgeschneiderten Therapien und entwickeln Biomarker, um die Dauer der Behandlung, die für eine Heilung notwendig ist, individuell festzulegen.
Quelle: Deutsches Zentrum für Infektionsforschung