Asbestbelastete Arbeiter in Deutschland haben fortan bessere Chancen, dass ihre berufsbedingten Erkrankungen besser erkannt und umfassender entschädigt werden. Denn die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hat jetzt in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Fachgesellschaften eine neue Leitlinie zur Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Krankheiten entwickelt und veröffentlicht – pünktlich zum Höhepunkt der Erkrankungsfälle durch Asbest, die von den Berufsgenossenschaften zwischen 2010 und 2015 erwartet werden. Darauf wurde auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Jahreskongresses der DGP, der dieses Jahr vom 7.-10.4. in Dresden stattfand, von Prof. Dr. Xaver Baur hingewiesen, Ordinarius für Arbeitsmedizin an der Universität Hamburg, Direktor des Zentralinstitutes für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der federführend bei der Entwicklung der neuen Leitlinie mitgewirkt hat.„Damit können asbestbelastete Arbeiter nun hoffen, dass ihre Erkrankungen entsprechend dem heutigen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand untersucht, begutachtet und entschädigt werden“, erläutert Baur. „Da konventionelle Röntgenuntersuchungen oft eine zu geringe Sensitivität und eingeschränkte Spezifität aufweisen, empfehlen wir jetzt in der neuen Leitlinie eine Computer-Tomografie sowie eine eingehende Anamneserhebung und eine qualitätsgesicherte Lungenfunktionsprüfung mit Belastung zur genaueren Abklärung asbestbedingter Schäden.“
Viele Schädigungen sind nicht direkt radiologisch nachweisbarEine langjährige Asbestexposition kann zu verschiedenen, sowohl restriktiven als auch obstruktiven Erkrankungen (das heißt die Ein- oder Ausatmung behindernde Atemwegsverengungen) führen, die sich teilweise auch unabhängig vom radiologischen Befund darstellen. „Zum Beispiel hat der in Deutschland ganz überwiegend eingesetzte Weißasbest eine Halbwertzeit von nur wenigen Wochen, so dass sich hier kein Fasegrenzwert für asbestbedingte Erkrankungen festlegen lässt“, erklärt Baur. „Trotzdem werden Fasergrenzwerte oft als Kriterium zur Beurteilung von asbestbedingten Berufskrankheiten herangezogen. Das muss sich ändern. Außerdem hängt das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Betroffenen nicht direkt mit dem Ausmaß der radiologisch feststellbaren Lungenveränderungen zusammen. Deshalb kann es auch kein allgemein gültiges radiologisch-definiertes Abschneidekriterium für die Festlegung eines Rentenanspruch geben!“ Bisher anerkannte, das heißt entschädigungsberechtigte Berufskrankheiten sind die Asbestose und Pleurafibrose (BK 4103), Lungen- und Kehlkopfkrebs (BK 4104), Tumor im Rippenfell, Bauchfell oder Herzbeutel (so genanntes Mesotheliom, BK 4105).
Auch Lungenschäden durch andere Stäube als Berufskrankheit anerkennenDie Funktionseinschränkungen bei Patienten, bei denen sich nur geringe asbestbedingte radiologische Veränderungen finden lassen, legen außerdem nahe, dass die Betroffenen nicht nur mineralischen Fasern, sondern auch anderen Stäuben ausgesetzt waren. „Das Einatmen solcher Stäube kann - wie das aktive Zigarettenrauchen, für das allerdings natürlich keine Entschädigung eingefordert werden kann - die Entwicklung einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mit oder ohne Lungenüberblähung (Lungenemphysem) verursachen“, erklärt Prof. Baur. „Daher fordern wir Lungenärzte vom Gesetzgeber, künftig auch eine Erkrankung an COPD infolge einer langjährigen und hohen Belastung durch anorganische Stäube als Berufskrankheit anzuerkennen. Schließlich ist das Einatmen von Staub in drei von vier Sterbefällen infolge einer Berufskrankheit die Ursache.“