Patienten, die einen Tag nach der Aufnahme auf die Intensivstation eine höhere bakterielle Last in der Lunge aufwiesen, mussten im weiteren Verlauf häufiger beatmet werden – und zwar unabhängig vom Ausmaß der intensivmedizinischen Behandlung oder vom Vorliegen einer Pneumonie. Dabei ließ die jeweilige Identität der Lungenmikrobiota auch Rückschlüsse auf die individuellen Patienten-Outcomes auf der Intensivstation zu. Das berichten Wissenschaftler aus Michigan, Amsterdam und Bangkok (siehe American Journal of Respiratory and Citical Care Medicine, Online Veröffentlichung am 21.1.2020). Zwei Bakterienarten, die normalerweise im Darm vorkommen – Lachnospiraceae und Enterobacteriaceae spp. – traten eher im Lungenmikrobiom von Patienten mit vergleichsweise schlechten Outcomes auf. Das Vorhandensein von Darmbakterien (Enterobacteriaceae spp.) im Lungenmikrobiom war auch mit einem häufigeren Auftreten des akuten Atemnotsyndroms (ARDS) verbunden.
Ältere Studien des Forscher-Teams hatten bereits ergeben, dass die Translokation von Darmbakterien in die Lunge eine Rolle bei der Entwicklung von ARDS spielen könnte. In einer anderen älteren Studie konnten die Forscher zudem zeigen, dass das Lungenmikrobiom bei Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose (IPF) ebenfalls Rückschlüsse auf die klinischen Outcomes zulässt.
„Wir wussten bereits, dass Lungenmikrobiota bei schwerkranken Patienten verändert sind und dass diese Störung mit einer veränderten Lungenimmunität assoziiert ist“, erklärt Hauptautor Dr. Robert Dickson, Assistenzprofessor für Pneumologie und Intensivmedizin sowie für Mikrobiologie und Immunologie an der Universität Michigan. „Die aktuelle Studie zeigt, dass diese Störung der Lungenmikrobiota klinisch bedeutsam ist: Bei ansonsten vergleichbaren Patienten helfen Unterschiede im Lungenmikrobiom zu erklären, wer sich erholt und wer nicht.“
In ihrer Studie mit 91 kritisch kranken Patienten berücksichtigten die Forscher den Schweregrad der Erkrankung und, ob der Patient an einer Pneumonie litt, da dadurch die bakterielle Last in der Lunge erhöht wird. Dennoch blieben die Zusammenhänge zwischen beatmungsfreien Tagen und Bakterienlast sowie dem Nachweis von Darm-assoziierten Bakterien im Lungenmikrobiom bestehen.
Nun sind die Forscher optimistisch, dass das Lungenmikrobiom ein neues Ziel für die Prävention und Therapie intensivmedizinisch zu versorgender Erkrankungen darstellen könnte. „Das Mikrobiom ist etwas, das wir im Gegensatz zu anderen Risikofaktoren auf der Intensivstation möglicherweise manipulieren können“, betont Seniorautor Dr. Lieuwe Bos, der auf den Gebieten Pneumologie und Intensivmedizin forscht und am Amsterdam University Medical Center seine Weiterbildung zum Lungenfacharzt absolviert. „Wir haben auf die Gene unserer Patienten oder ihre chronischen Erkrankungen keinen Einfluss, können aber möglicherweise Mikrobiota ihres Körpers verändern.“
Zu den Einschränkungen der Studie gehört die Tatsache, dass die Autoren Medikamente wie Antibiotika, die die Patienten unter Umständen vor der Aufnahme auf die Intensivstation erhalten hatten, nicht berücksichtigen konnten. Zudem war es den Forschern nicht möglich zu bestimmen, ob die Darm-assoziierten Bakterien, die sich im Mikrobiom einiger Patienten fanden, aus dem unteren Gastrointestinaltrakt in die Lunge eingewandert waren oder ob sie sich aufgrund von Aspiration dort befanden.
Der nächste Schritt liegt nun darin herauszufinden, ob eine Veränderung der Bakterienzusammensetzung in der Lunge Einfluss auf die Patienten-Outcomes auf der Intensivstation hat, erklären die Wissenschaftler. Dafür seien sowohl prospektive Studien am Menschen als auch Tiermodelle erforderlich. „Die Outcomes auf der Intensivstation vorhersagen zu können, ist wichtig, aber was wir eigentlich wollen ist ein Ziel für die Therapie“, erläutert Dickson. „Wir müssen herausfinden, ob das Lungenmikrobiom etwas ist, das wir modifizieren können, entweder um Lungenschäden vorzubeugen oder um sie rascher beheben zu können.“
ARDS ist eine heterogene Erkrankung. „Die Lungen von ARDS-Patienten sind nicht alle gleich“, betont Bos. „Wenn wir wissen, dass sich die Immunfunktion und das Mikrobiom bei diesen Patienten unterscheiden, können wir die Outcomes unserer Patienten möglicherweise nicht nur vorhersagen, sondern auch zum Besseren wenden.“
„Diese Studie trägt zu der wachsenden Erkenntnis bei, dass das Lungenmikrobiom eine Schlüsselrolle bei Lungenerkrankungen spielt“, ergänzt Dr. James Kiley, Leiter der Abteilung für Lungenerkrankungen am National Heart, Lung und Blood Institute, einem Teil der National Institutes of Health. „Es ist wichtig, dass wir weiterhin das Mikrobiom und andere Faktoren untersuchen, die zu Lungenerkrankungen und klinischen Outcomes beitragen.“
Quelle: Biermann Medizin vom 23.1.2020