Dass freie Radikale – d.h. aggressive weil besonders reaktionsfreudige, chemische Moleküle - eine Rolle bei der Höhenkrankheit spielen könnten, vermuten Experten schon länger. Zum ersten Mal gibt nun eine Studie der Europäischen Akademie Bozen (EURAC Research) im Detail Aufschluss darüber, wie diese zellschädigenden Teilchen mit dem Höhenanstieg im Organismus zunehmen, wobei nach 24 Stunden Höhenexposition ein Maximum erreicht ist. Auf Basis dieser Erkenntnis können Strategien entwickelt werden, um etwa Höhenbergsteiger oder Athleten bei Bergläufen vor Gesundheitsschäden zu schützen. Die Daten der Untersuchung stammen aus einer noch nicht veröffentlichten Feldstudie am Ortler.
Wegen des geringeren Sauerstoffgehalts in der Luft erleidet der menschliche Körper in großen Höhen oxidativen Stress: Es bilden sich freie Radikale. Das sind Atome oder Moleküle, denen ein Elektron fehlt und die deshalb besonders reaktionsfreudig und potenziell zellschädigend sind. Mit welcher Rate die freien Radikale bei Höhenexposition zunehmen, untersuchten die Wissenschaftler an 16 Probanden, die im Hubschrauber auf die 3.830 Meter des Ortlergipfels gebracht wurden und dort 72 Stunden blieben. Obwohl die Studienteilnehmer keinerlei körperliche Anstrengung unternahmen, zeigten Blut- und Urinanalysen schon nach neun Stunden eine deutliche Zunahme freier Radikale. Ihren Höhepunkt erreichte die Kurve nach 24 Stunden auf dem Gipfel, dann gingen die Werte wieder zurück. Entsprechend waren auch die Zellschäden nach 24 Stunden Höhenexposition am größten.
Ob es einen Zusammenhang zwischen oxidativem Stress und dem Verlauf der Höhenkrankheit gibt, untersuchten die Forscher anhand von Ultraschallaufnahmen des Sehnervs vor dem Abflug und während des Gipfelaufenthalts. „Es konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen vergrößertem Durchmesser des Sehnervs und oxidativem Stress festgestellt werden“, erklärt der Höhenmediziner Giacomo Strapazzon von EURAC Research. „Wir werden aber weiter untersuchen, welche Möglichkeiten Ultraschallaufnahmen des Sehnervs, die auch unter schwierigen Bedingungen durchführbar sind, für die Diagnostik und Therapie der Höhenkrankheit bergen. Der Durchmesser des Sehnervs scheint in der Höhe wegen des steigenden Hirndrucks zuzunehmen.“ An der Studie beteiligte sich der CNR (Consiglio Nazionale delle Ricerche) in Mailand, der über hochentwickelte Instrumente für diese Art Messungen verfügt; außerdem arbeiteten die Forscher eng mit Neurologen des Bozener Krankenhauses zusammen.
Quelle: European Academy Bozen/Bolzano