Während die Diagnose der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) durch molekulargenetische Untersuchungsmöglichkeiten heutzutage keine Herausforderung mehr darstellt, besteht aktuell häufig eine Hürde bei der praktischen Umsetzung von frühzeitigen Atemfunktions-Untersuchungen. In der Praxis bleibt die Einschränkung der Atemmuskulatur oftmals unbemerkt und wird erst mit Vorliegen von akuten Ereignissen – wie etwa eine Sekretverlegung der Atemwege oder Lungenentzündungen infolge des Einatmens von Flüssigkeit, z.B. beim sich Verschlucken (sog. Aspirationspneumonien) - erkannt. Dabei stellt die Früherkennung der fortschreitend abnehmenden Atemfunktion eine elementare Voraussetzung für eine optimale Versorgung der Patienten mit DMD dar. Dazu sollten alle Potentiale verfügbarer medikamentöser und physiotherapeutischer Behandlung gänzlich ausgenutzt werden.
Möglicherweise kann die Versorgung der Patienten mit DMD in Zukunft auch durch neue Therapieansätze verbessert werden. Ein interdisziplinärer Austausch komplettiert die ganzheitliche Behandlung. Zu diesem Fazit kamen Prof. Maggie C. Walter (München), Dr. Abdel Hakim Bayarassou (Bonn) und Prof. Andreas Hahn (Gießen) im Rahmen eines Symposiums anlässlich der diesjährigen Jahrestagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in München.
„Das Vorliegen einer Duchenne-Muskeldystrophie wird bei den meisten Patienten erst ab dem zweiten Lebensjahr auffällig“, leitete Prof. Walter in die Thematik der DMD ein. Motorische, mentale und sprachliche Entwicklungsstörungen sind dabei die ersten Indikatoren. Zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr fallen die Jungen durch häufiges Stürzen und einen „watschelnden“ Gang auf. Dies resultiert aus der in diesem Krankheitsstadium vor allem vorliegenden Schwächung der Hüft- und proximalen Beinmuskulatur. Im Verlauf der Erkrankung nimmt die Muskelschwäche weiter zu und betrifft zunehmend auch die Atemhilfsmuskulatur sowie die Nackenbeuger, Fußheber und die proximale Armmuskulatur. Mit dem Verlust der Gehfähigkeit – im Alter von 9-12 Jahren – setzt häufig auch die Abnahme der Atemfunktion ein. Charakteristisch für den späteren Verlust der Atemfähigkeit ist die verminderte Hustenfähigkeit (fehlender Hustenstoß) sowie die daraus resultierende erhöhte Anfälligkeit für pulmonale Infekte. Ein Teufelskreis ist entfacht, der zu wiederkehrenden Krankenhausbehandlungen, einer sog. respiratorische Insuffizienz (Unfähigkeit, , selbstständig zu atmen und genügend Sauerstoff aufzunehmen) und letztlich einem – meist plötzlichen – Atemversagen führt. Noch heute sind bis zu 70% der Todesfälle bei DMD-Patienten durch eine Abnahme der Atemfunktion bedingt.
Um eine ausreichende Atmung zu gewährleisten, müssen alle an der Atmung beteiligten Muskelgruppen koordiniert zusammenarbeiten. „Es ist somit elementar, respiratorische Veränderungen frühzeitig zu detektieren und sie in der interdisziplinären Behandlung zu adressieren“, appellierte Dr. Bayarassou. Ein regelmäßiges Screening der Lungenfunktion, die regelmäßige Bestimmung des Hustenstoßes sowie die regelmäßige Analyse der Blutgase können frühzeitige Hinweise auf das Vorliegen einer Störung der Atemmuskulatur geben. Um eine Atemfunktionsstörung früh zu erfassen, kommen verschiedene Messinstrumente zum Einsatz, darunter die Messung der Vitalkapazität in Prozent des Sollwerts (FVC%p) und der exspiratorische Spitzenfluss in Prozent des Sollwerts (PEF%p).
Ab einer FVC von 80%p liegt eine irreversible Abnahme der Atemfunktion vor, eindeutige klinische Symptome hingegen zeigen sich oftmals erst ab einer FVC < 50%p. Vor diesem Hintergrund ist ein frühzeitiges und regelmäßiges Monitoring, wie es auch von den Leitlinien empfohlen wird, unausweichlich. „Nur mittels Durchführung regelmäßiger Atemfunktions-Untersuchungen und frühzeitiger Intervention besteht die Chance, die Abnahme zu verlangsamen, einen effektiven Husten zu erhalten und den nächsten klinischen Grenzwert der Atemfunktionsabnahme hinauszuzögern“, so Dr. Bayarassou weiter.
Folgende Empfehlungen zum differenzierten pneumologischen Monitoring werden für Patienten mit DMD allgemein als sinnvoll anerkannt:
· Vorstellung beim Pneumologen: noch vor Symptombeginn – somit idealerweise zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr. Im Anschluss Monitoring 1x jährlich
· sofern bereits eine Rollstuhlpflicht besteht oder Patienten älter als 12 Jahre sind: pneumologische Untersuchung halbjährlich
· bei Patienten mit therapiebedürftiger Husteninsuffizienz oder Beatmungspflicht: pneumologische Untersuchung alle 3 bis 6 Monate
„Obwohl in den letzten 20 Jahren eine Verbesserung der Lebensqualität und Verlängerung der Lebensdauer von Patienten mit DMD erreicht wurde, sind weitere Bemühungen erforderlich, um DMD besser und zielgerichteter behandeln zu können“, so Prof. Walter. Aktuell zugelassene Behandlungen konzentrieren sich dabei primär auf die Gehfähigkeit und das unterstützende Management der Atemfunktion. „Ziel ist es, in Zukunft auch die Atemfunktion länger aufrechtzuhalten und dem Verlust signifikant entgegenzuwirken. So könnte es gelingen, unsere Patienten besser zu behandeln“, resümierte Prof. Hahn.
Neben den verfügbaren und den in der Erforschung befindlichen Therapien trägt auch das Patientenregister "Treat-NMD" zum besseren Verständnis der Erkrankung und Erforschen neuer Therapieansätze bei. Das Register stellt zum einen eine Hilfe für Patienten dar, indem es auf neue Studien oder neu verfügbare Medikamente hinweist; zum anderen nutzt es Forschern, die Erkrankung und deren Verlauf noch besser zu verstehen und die Wirksamkeit von Medikamenten zu beobachten“, hob Prof. Walter die Bedeutung des Registers hervor. Patienten können sich selbst unter www.treat-nmd.de/register/ registrieren.
Quelle: journalmed