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Gen-Mutationen machen Kinder anfällig für schwere Erkältungen

Bestimmte Genveränderungen (Mutationen), die Atemwegsinfektionen bei Kindern schwerer verlaufen lassen, haben Forscher aus Lausanne in der Schweiz entdeckt.

Eigentlich verlaufen nicht-grippebedingte Erkältungen harmlos. Bei zwei Prozent der Kinder jeder Generation machen Virusinfektionen allerdings einen Krankenhausaufenthalt erforderlich. „Zwanzig Prozent der weltweiten Todesfälle bei Kindern gehen auf Atemwegsprobleme dieser Art zurück“, betont Jacques Fellay von der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). „Es handelt sich um eine stille Epidemie.“ Ein Grund für derartige Komplikationen wurde jetzt in einem internationalen Forschungsprojekt unter Fellays Leitung gefunden: Mutationen in einem Gen, das für die Erkennung bestimmter Erkältungsviren verantwortlich ist (siehe PNAS, Online-Vorabveröffentlichung am 27.6.2017).

„Wir konnten bestätigen, dass ein Gen mit dem Namen IFIH1 bei der körpereigenen Abwehr gegen die wichtigsten Erkältungsviren, die Atemwegsinfektionen bei Kindern herbeiführen, eine maßgebliche Rolle spielt“, erklärt Fellay. Im Normalfall ermöglicht dieses Gen die Erkennung der viralen RNA (einer der DNA ähnliche, aber einzel- statt doppelsträngige genetische Information). „Es ist uns gelungen, die Mechanismen zu identifizieren, die bei Kindern mit einer IFIH1-Mutation dazu führen, dass ihre Immunantwort Virusinfektionen nicht effizient abwehren kann“, erläutert Fellay.

In Zusammenarbeit mit verschiedenen Kliniken in der Schweiz und in Australien haben die Forschenden sich mit Kindern befasst, die nach einer schwerwiegenden viralen Infektion der Atemwege (Bronchiolitis oder Lungenentzündung) intensivmedizinische Betreuung benötigten. Dabei waren Frühgeborene und Kinder mit chronischen Erkrankungen nicht Teil der Studienpopulation und der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten lag auf den genetischen Ursachen.

Ergebnis: 8 der 120 Kinder aus der Studienpopulation wiesen Mutationen des Gens IFIH1 auf. „Dieses Gen kodiert für ein Protein, das die Anwesenheit von bestimmten Erregern von Erkältungskrankheiten wie Respiratorischer-Synzytial-Viren (RSV) oder Rhinoviren erkennt", erklärt Samira Asgari, Forscherin an der EPFL und zuständig für die Entwicklung der Experimente. „Das betreffende Protein heftet sich an die RNA des Virus. Dort löst es eine Reihe von molekularen Signalen und somit eine effiziente Reaktion des Immunsystems aus.“ Der Forscherin ist der Nachweis gelungen, dass drei verschiedene Mutationen des IFIH1-Gens das Protein an der Erkennung der Viren hindern und damit die körpereigene Abwehr der Infektionen blockieren.

Jacques Fellay hatte schon im Jahr 2015 das Genom von über 2000 Patientinnen und Patienten untersucht, um auf statistischem Weg zu belegen, welche genetischen Veränderungen unsere Abwehrkräfte gegen die üblichen Virusinfektionen beeinflussen. „Diese beiden Ansätze ergänzen sich jetzt gegenseitig“, erklärt Fellay. „Eine Studie mit einer großen Studienpopulation ermöglicht die Identifikation der beteiligten Gene auf Populationsebene, für Einzelpersonen sind diese Variationen aber weniger wichtig. Dagegen bietet eine gezielte Studie, die sich auf sorgfältig ausgewählte Patienten beschränkt, die Möglichkeit, seltenere, für die Teilnehmer aber entscheidendere Mutationen zu erforschen und die maßgeblichen Mechanismen aufzuzeigen.“

Die Ergebnisse der Studie könnten sich bei der Erarbeitung neuer therapeutischer Ziele sowie in der Prävention als nützlich erweisen: „Auf Wunsch einiger Eltern haben wir auch die Geschwister von Kindern getestet, die eine Genmutation aufwiesen. So lässt sich zeigen, ob diese Kinder ebenfalls anfälliger für Infektionen sind. Im Fall einer Epidemie haben die Eltern nun stichhaltige Gründe, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Im Fall einer Erkältung wissen sie, dass sie rasch das Spital aufsuchen sollten.“

Für Fellay sind die genannten Arbeiten Musterbeispiele für die Methoden und Zielsetzungen der personalisierten Medizin, auch Präzisionsmedizin genannt: „Die Abwehrkräfte unseres Körpers unterscheiden sich von einer Person zur anderen beträchtlich. Wenn wir die genetischen Mechanismen entschlüsseln, die für diese Unterschiede verantwortlich sind, können wir gezieltere Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen ergreifen. So könnte man beispielsweise mit einem genetischen Screening bei den üblichen Blutuntersuchungen kurz nach der Geburt auch die Infektionsanfälligkeit bestimmen. Zugleich muss aber in einem gesellschaftlichen Diskurs festgelegt werden, welche Arten von Gentests erwünscht sind und welche nicht.“

Quelle: Schweizerischer Nationalfonds (SNF)