Neue Influenzaviren können ohne Vorwarnung immer wieder vom Tier auf den Menschen überspringen, wie die Erfahrungen mit dem H5N1-Vogelgrippevirus oder dem Schweinegrippevirus belegen. Doch selbst wenn der Mensch noch keine Immunität gegen solche Erreger aufweisen sollte, ist sein Körper den Eindringlingen nicht schutzlos ausgeliefert. Schließlich verfügt er mit seinem Immunsystem über eine rasch mobilisierbare Abwehr, die dafür sorgt, dass sich die Influenzaviren nicht ungehemmt vermehren können.
Ein wesentliches Element dieses Schutzes stellt ein körpereigenen Protein dar, das eindringende Viren in der Zelle abfängt und daran hindert, Nachkommen-Viren zu produzieren. Unter normalen Umständen ist dieses Schutzprotein Mx (Abkürzung für: Myxovirus-Resistenz) gar nicht in den Zellen vorhanden. Es wird erst kurzfristig bei Bedarf hergestellt, dann allerdings in großen Mengen. Der Befehl zur Herstellung wird durch den natürlichen Botenstoff Interferon vermittelt, der von virusinfizierten Zellen ausgeschieden wird und dem Organismus den Virusbefall ankündigt. Dieser Interferon-induzierte Schutzmechanismus ist für das Überleben einer Infektion mit Influenzaviren unerlässlich, wie Forscher experimentell dokumentieren konnten. Auf welchem Weg das schützende Protein die Virusvermehrung zu blockieren vermag, blieb allerdings jahrelang unverstanden, weil die Struktur des Proteins nicht aufgeklärt werden konnte.
Jetzt haben Strukturbiologen vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und Virologen vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Freiburg die Struktur des Mx-Proteins zum Teil entschlüsselt und dabei auch klären können, wie das Mx-Protein seine antivirale Wirkung entfaltet (siehe Nature, Online-Vorabveröffentlichung am 28.4.2010).
Das Mx Protein ist eine molekulare Maschine, die ihre volle Kraft erst nach Aneinanderlagerung der Einzelmoleküle zu einem hochmolekularen Verbund entfaltet, wobei sich bestimmte Ringstrukturen ausbilden müssen. Ein zentrales Element der Ringbildung besteht in der besonderen Faltung eines Teils von Mx, der als Stiel (engl.: stalk) bezeichnet wird. Nach der genauen Struktur dieses Stiels wird seit Jahren gefahndet. Die beiden Forschergruppen entschlüsselten nun erstmals die Stalk-Struktur von Mx auf atomarer Ebene. Die jetzt bekannte Struktur erklärt den Aufbau von Mx und erlaubt testbare Voraussagen zur Funktionsweise des antiviralen Moleküls. Zusammen mit Ergebnissen aus früheren biochemischen Untersuchungen wird jetzt klar, dass Mx mit der Stalk-Struktur eine Art Fußangel bildet, die wichtige Bestandteile des Influenzavirus in der infizierten Zelle fesselt und inaktiviert.
Dass es dennoch beim Auftreten neuer Grippeviren zu Epidemien oder gar Pandemien kommen kann, hängt mit der Aggressivität und Massivität dieser Erreger zusammen. Die Forscher sind zuversichtlich, mit ihren neuen Erkenntnissen über das schützende Mx-Protein die Grundlage für die Entwicklung neuer antiviraler Medikamente gegen die gefährlichen Influenzaviren gelegt zu haben.