Etwa jeder zehnte Erwachsene im Alter von über 40 Jahren leidet unter einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD – aus dem Englischen chronic obstructive pulmonary disease), die zu einer fortschreitenden Einschränkung der Lungenfunktion führt. Diese Erkrankung, die derzeit die weltweit vierthäufigste Todesursache darstellt, dürfte ab 2050 sogar zur dritthäufigsten Todesursache „aufsteigen“. Der bedeutendste Risikofaktor für die Entstehung von COPD ist das Rauchen. Es ist bereits seit Längerem bekannt, dass die individuelle Ausprägung der Lungenfunktion auch erblich bedingt ist. So tritt die Erkrankung COPD in einigen Familien gehäuft auf. Dies lässt vermuten, dass auch die Veranlagung für eine eingeschränkte Lungenfunktion auf genetischen Variationen beruht.
Im Rahmen einer internationalen Studie konnten nun fünf verbreitete Gen-Varianten identifiziert werden, die die Lungenfunktion direkt beeinflussen. Wissenschaftler der Universität Greifswald haben in dem Projekt mit 96 Wissenschaftlern von insgesamt 63 Forschungseinrichtungen in Europa und Australien zusammengearbeitet und ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature Genetics (2010, Band 42, Seite 14–16) veröffentlicht.
Genetische Veranlagungen für eine erhöhte COPD-Anfälligkeit lassen sich einerseits analysieren, indem man versucht, Genvarianten zu identifizieren, die unmittelbar ein höheres Risiko für die Entwicklung der Krankheit bedingen. Andererseits kann man jedoch auch nach Genvarianten suchen, welche die Lungenfunktion beeinflussen, auf deren Messung (Spirometrie) die Diagnose von COPD beruht. Auf letzterem Weg wurde in der aktuellen Studie des so genannten SpiroMeta-Konsortiums verfahren.
Dazu haben die Wissenschaftler genetische Variationen an 2,5 Millionen Positionen des menschlichen Genoms bei über 20.000 Probanden europäischer Herkunft mit deren individuellen Lungenfunktions-Messwerten verglichen. Dabei wurden in fünf verschiedenen, exakt umschriebenen Bereichen des menschlichen Genoms genetische Varianten gefunden, die mit Änderungen der Lungenfunktion verbunden waren. Die Wissenschaftler konnten ihre Ergebnisse untermauern, indem sie die gefundenen Zusammenhänge zwischen Lungenfunktion und genetischen Varianten an über 33.000 zusätzlichen Probanden erfolgreich überprüften. Außerdem verglichen sie ihre Resultate mit denen eines zweiten Konsortiums (CHARGE), das seine Studie in derselben Ausgabe von Nature Genetics (2010, Band 42, Seite 45–52.) veröffentlichte (wir berichteten: www.lungenaerzte-im-netz.de/lin/linaktuell/show.php3.
Die Studie beleuchtet auch die Rolle der neu identifizierten Gene, die nun mit der Lungenfunktion in Verbindung gebracht werden können. Diese erfüllen Funktionen im Zusammenhang mit physiologischen Entgiftungs-, Entzündungs- und Gewebeheilungsprozessen. Die Wissenschaftler betonen, dass - obwohl der Effekt einer jeden einzelnen gefundenen Genvariante auf die Lungenfunktion nur mäßig ist - die weitaus größere Bedeutung der Forschungsergebnisse in einem vertieften Verständnis der Ursachen von Lungenerkrankungen liege, was dazu beitrage, den Weg zu künftigen verbesserten Behandlungsmöglichkeiten zu bahnen. Erst mit weiterer Forschung werde es möglich sein, die molekularen Veränderungen in der Lunge, die durch die identifizierten Genvarianten bedingt werden, genau zu verstehen, und herauszufinden, ob sie durch Medikamente beeinflusst werden können.