Lungenkrebs ist weltweit für die meisten durch Krebs verursachten Todesfälle verantwortlich. Bisherige Therapieverfahren führen meist nicht zu einer langfristigen Heilung. Neben der Vermehrung der Krebszellen steuert der Tumor das Wachstum von Blutgefäßen über chemische Signale, um eine Versorgung der wachsenden Geschwulst zu bewerkstelligen. Ein Molekül, das dabei eine Schlüsselfunktion zu spielen scheint, haben jetzt Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und der Universität Gießen entdeckt: die so genannte Phosphodiesterase PDE4. Durch Hemmung dieses Enzyms konnten sie das Tumorwachstum zumindest in ihren Experimenten verringern (siehe Oncogene, Online-Vorabveröffentlichung am 23.4.2012).
Lungenkrebs trifft vor allem Raucher, aber auch der Kontakt mit krebsauslösenden Stoffen wie zum Beispiel Asbeststaub kann ursächlich sein. Chemotherapie oder Bestrahlung können leider oft nur unzureichend helfen. Wissenschaftler suchen deshalb intensiv nach Ansätzen, um das Wachstum der Tumoren zu stoppen. Blutgefäße, die den Tumor mit Nährstoffen versorgen, bieten einen möglichen Angriffspunkt.
Damit der wachsende Tumor ausreichend Nährstoffe erhält, entwickeln sich neue Blutgefäße. Nachwachsendes Gewebe wird sofort mit neuen Gefäßen durchsetzt. Das Wachstum der Blutgefäße wird von den Tumorzellen mittels einer komplexen Signalkaskade reguliert. Auslöser ist anfangs ein niedriger Sauerstoffgehalt im Gewebe. „Dieser als Hypoxie bezeichnete Zustand führt zur Aktivierung von rund 100 Genen in den Tumorzellen“, erklärt Rajkumar Savai, Leiter der Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut. „Der Tumor stimuliert damit neben dem Wachstum von Blutgefäßen auch die Vermehrung der Tumorzellen.“ Dabei sind vor allem drei Moleküle von Bedeutung: Die Aktivierung der Gene am Anfang der Kaskade erfolgt über den Transkriptionsfaktor HIF. Am Ende der Kaskade steht wiederum ein Botenmolekül, das cAMP. Das Bindeglied zwischen diesen beiden Molekülen haben die Forscher nun genauer untersucht: die Phosphodiesterase PDE4. Dabei konnten die Bad Nauheimer und Gießener Wissenschaftler nachweisen, dass PDE4 an verschiedenen Abschnitten Bindungsstellen für HIF aufweist.
In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscher im Labor an zehn verschiedenen Zelllinien, die charakteristisch für rund 80 Prozent der Lungenkrebserkrankungen sind, welchen Einfluss eine Blockade von PDE4 auf die Zellen hat. Wurden die Zellen mit einem PDE4-Hemmstoff behandelt, teilten sie sich deutlich weniger. Außerdem nahm auch der HIF-Spiegel ab. Besonders deutlich wurde der Effekt dann im lebenden Organismus. Dazu implantierten die Max-Planck-Forscher Nacktmäusen eine menschliche Tumorzelllinie unter die Haut und behandelten die Tiere mit dem Hemmstoff. Daraufhin ging das Tumorwachstum bei diesen Tieren um rund die Hälfte zurück. „Unsere mikroskopische Analyse hat ergeben, dass das Blutgefäßwachstum in den Tumoren der Mäuse, die mit dem Hemmstoff behandelt worden waren, stark reduziert war. Gleichzeitig konnten wir auch Hinweise auf eine verlangsamte Zellteilung bei den Tumorzellen finden. Insgesamt war das Tumorwachstum deutlich gebremst“, berichtet Rajkumar Savai.
„Wir konnten zeigen, dass PDE4 bei der Zellteilung in Lungentumoren und bei der Entwicklung von Blutgefäßen im Krebs eine wichtige Regulationsfunktion einnimmt. Deshalb hoffen wir, dass wir damit einen Ansatzpunkt für die Entwicklung einer Therapie gefunden haben“, kommentiert Werner Seeger, Direktor am MPI und ärztlicher Leiter der Universitätsklinik Gießen. Nach Meinung des Tumorspezialisten Friedrich Grimminger, der in Gießen die Abteilung Medizinische Onkologie leitet, könnte zukünftig die klassische Bestrahlungs- oder Chemotherapie mit einer Hemmung von PDE4 kombiniert werden. Auf diese Weise ließe sich möglicherweise der Effekt der klassischen Therapiemaßnahmen verstärken und dadurch die Prognose der Patienten verbessern. Vor der Durchführung klinischer Tests seien allerdings zunächst noch weitere Untersuchungen im Labor erforderlich.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.