Entgegen früherer Annahmen sind auch die Atemwege inklusive der Lunge nicht steril, sondern stellen - vergleichbar mit dem Darm - eine ökologische Nische für eine Vielzahl von Mikroorganismen dar, die zum Teil noch unbekannt sind. Steht diese Lebensgemeinschaft – das sogenannte Mikrobiom – im Gleichgewicht, geht es dem Menschen gut. Nehmen hingegen bestimmte schädliche Keime überhand, kann es zu Lungenentzündungen und Einschränkungen der Lungenfunktion kommen. Doch wer bedingt was? Liegt es an dem gestörten Mikrobiom, dass Krankheitserregern Tür und Tor geöffnet wird? Oder führt erst eine chronische Infektion mit bestimmten Bakterien zur Verdrängung der normalen Mikroflora und damit zu einer Störung des Mikrobioms? Prof. Dr. Alexander Dalpke, Stellvertretender Ärztlicher Direktor der Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, und Prof. Dr. Marcus A. Mall, Leiter des Mukoviszidose-Zentrums des Universitätsklinikums Heidelberg, gelang es nun, für Patienten mit Cystischer Fibrose diese wichtige Frage zu klären. „Unsere Befunde zeigen, dass Mikrobiom-Veränderungen die Folge, nicht aber die Ursache einer Infektion mit dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa sind“, berichtet Prof. Dalpke.
In ihrer Studie (siehe European Respiratory Journal, Online-Veröffentlichung am 4.7.17) analysierten die Forscher wiederholt gewonnene Proben, in denen erstmalig oder regelmäßig das Bakterium Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen wurde. Bei Patienten mit der erblichen Multiorganerkrankung Cystische Fibrose (Mukoviszidose) ist der Schleim in den Bronchien zähflüssiger als bei gesunden Menschen. Das zähe Sekret kann vom Flimmerepithel nur schwer abtransportiert werden und stellt deshalb ein Nährmedium für verschiedene Mikroorganismen dar, zu denen auch Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa gehören, die von Betroffenen gefürchtet werden, weil sie den Verlust der Lungenfunktion beschleunigen.
Klassischerweise werden Pseudomonas-Infektionen über Zellkulturen nachgewiesen. Die Heidelberger Wissenschaftler nutzten jetzt ein Verfahren, mit dem sie Proben der Patienten molekularbiologisch untersuchen und die Mikrobiom-Zusammensetzung aufgrund von Gensequenzen feststellen können. Auf diese Weise war es möglich, Mikrobiom-Veränderungen in Patienten die chronisch, nur phasenweise oder noch gar nicht mit einer Pseudomonas-Infektion zu kämpfen haben, zu unterscheiden.
„Bei Erstinfektionen könnte sich eine aggressive Therapie mit Antibiotika lohnen, um die Patienten nicht nur vor einer chronischen Infektion mit Pseudomonas zu schützen, sondern auch um weitere Mikrobiom-Veränderungen zu vermeiden“, erklärt Dalpke. „Von Cystischer Fibrose betroffene Kinder bleiben bei frühzeitiger Bekämpfung einer Infektion länger Pseudomonas-frei und dies geht nach unseren Untersuchungen mit geringeren Veränderungen des Lungenmikrobioms einher“, fasst der Mikrobiologe Prof. Dr. Alexander Dalpke zusammen. Im Gegensatz dazu können chronische Pseudomonas-Infektionen mit Antibiotika nur noch unterdrückt werden, da die Bakterien dazu neigen, sich anzupassen und in einem schützenden Biofilm zu verstecken.
Insgesamt wurden 392 Proben aus den Atemwegen von 71 Patienten untersucht – darunter dank enger Kooperation mit der Kinderpneumologie des Universitätsklinikums Heidelberg auch Kleinkinder, von denen es bislang wenige Daten gab. Es zeigte sich, dass das Mikrobiom der Lunge aus über 100 verschiedenen, von Patient zu Patient sehr unterschiedlichen Spezies bestehen kann. Unklar ist, ob diese Mikroorganismen, die im Laufe des Lebens aus den oberen Atemwegen die Lunge besiedeln, womöglich auch einen schützenden Effekt haben. „Möglicherweise sind Mikroorganismen dieser Gruppe, zu denen zum Beispiel Bakterien der Gattungen Neisseria, Veillonella und Prevotella gehören, sogar mit besseren Lungenfunktionen assoziiert. Dies wird zurzeit kontrovers diskutiert und wird Thema weiterer Forschungsarbeiten sein“, erklärt Prof. Dr. Alexander Dalpke.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg