Chronisch-entzündliche Lungenerkrankungen nehmen weltweit zu. Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge sollen sie bis 2030 auf den dritten Platz der weltweit häufigsten Krankheiten vorrücken. Eine verlässliche Therapie gibt es bislang nicht, was auch daran liegt, dass die Mechanismen der Krankheitsentstehung noch nicht vollständig entschlüsselt sind. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg untersuchen deshalb chronisch-entzündliche Lungenerkrankungen bei Mäusen und haben dabei eine interessante Entdeckung gemacht: Durch die Entzündung werden vermehrt schützende Antikörper auf die Lungenschleimhaut transportiert und bewahren die Lunge so offenbar besser vor gefährlichen Erregern als in einer gesunden Lunge (siehe Scientific Reports, Onlineveröffentlichung am 10.7.2017). Nach Meinung der Forscher könnte diese Erkenntnis vielen Lungenpatienten langfristig zugutekommen.
Patienten mit chronischer Bronchitis, Sarkoidose oder Lungenemphysem leiden unter chronischen Lungenbeschwerden. Die Ursachen dafür können sehr vielfältig sein und reichen von langjährigem Tabakkonsum über feinstaubbelastete Luft bis hin zu intensivem Kontakt zu offenem Feuer – etwa beim täglichen Kochen –, was über die Hälfte der Weltbevölkerung betrifft. „In vielen Fällen kommt es dadurch zu einer fortschreitenden Zerstörung des Lungengewebes, für die die Medizin derzeit keine Heilung hat“, erläutert Prof. Dunja Bruder vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg und gleichzeitig Leiterin der Forschungsgruppe „Immunregulation“ am HZI.
Das vorgeschädigte Lungengewebe bietet außerdem oft keinen effektiven Schutz mehr gegen Krankheitserreger. So sind diese Patienten besonders anfällig für teils lebensbedrohliche Atemwegsinfektionen. „Allerdings gibt es auch eine weitere Gruppe von Lungenpatienten, die von diesen Infektionen oft komplett verschont bleibt. Offenbar sind diese Betroffenen trotz ihrer chronischen Lungenerkrankung besser geschützt“, erklärt Bruder.
Der Ursache dieses Phänomens ist Dr. Julia Boehme, Wissenschaftlerin in Bruders Labor, möglicherweise auf die Spur gekommen. Sie untersuchte Mäuse mit chronisch-entzündlichen Lungenerkrankungen und achtete dabei besonders auf die löslichen Komponenten auf der Lungenschleimhaut. Diese Untersuchungen erfolgten in Zusammenarbeit mit der HZI-Arbeitsgruppe „Zelluläre Proteomforschung“ von Prof. Lothar Jänsch. „In den betroffenen Mäusen konnten wir eine viel höhere Konzentration von sekretorischen Antikörpern auf der Lungenschleimhaut feststellen als in gesunden Tieren“, berichtet Boehme.
Die Antikörper sind im besonderen Maße in der Lage, sich an ein breites Spektrum von Krankheitserregern anzuheften, bevor diese ihre schädliche Wirkung entfalten und in den Körper eindringen können. In der Studie stellte sich heraus, dass lungenkranke Mäuse einen erhöhten Schutz gegenüber einer Infektion mit Streptococcus pneumoniae aufwiesen. Streptokokken gehören zu den wichtigsten bakteriellen Erregern von Atemwegsinfektionen. Um diesen Befund zu erklären, suchten die Wissenschaftler nach dem Grund für die erhöhte Immunabwehr in der Lunge. „In unseren Versuchen konnten wir nachweisen, dass ein bestimmtes Transportprotein mit dem Namen polymerer Immunglobulin-Rezeptor (pIgR) in entzündeten Lungen in verstärktem Maße auf Lungenepithelzellen produziert wird“, erzählt Boehme. „Das Protein ist dafür bekannt, sekretorische Antikörper aus dem Lungengewebe in den Innenraum der Lungenbläschen zu transportieren.“ Somit fanden die Wissenschaftler in Mäusen mit chronisch-entzündlichen Lungenerkrankungen genau dort mehr schützende Antikörper, wo viele Atemwegserreger in den Körper einzudringen versuchen.
Die chronische Lungenentzündung scheint also für die erhöhte Produktion des Antikörper-Transporters pIgR verantwortlich zu sein. Die Forscher hoffen nun auf einen neuen Erklärungsansatz für das Rätsel um die beiden Patientengruppen. „Es könnte sein, dass das Ausmaß der Produktion dieses Transportproteins auf der Lungenschleimhaut die Patientengruppen unterscheidet“, erläutert Dr. Andreas Jeron, ein weiterer an der Studie beteiligter Wissenschaftler aus Bruders Labor.
Gleichzeitig warnt Dunja Bruder aber vor zu viel Pauschalisierung: „Die Schwierigkeit besteht darin, dass jeder Patient individuell untersucht werden muss. Auch um zu verstehen, welcher Schweregrad der chronischen Lungenentzündung vorliegt. Es ist anzunehmen, dass eine schwach ausgeprägte Entzündung in der Lunge gleichzeitig besser vor Infektionen schützt, während bei schweren Entzündungsverläufen dieser Schutz nicht mehr zum Tragen kommt.“
In zukünftigen Untersuchungen wollen die Forscher nun herausfinden, ob sich die Produktion des Antikörper-Transporters pIgR – und damit auch der Antikörpertransport in die Lungenbläschen – durch gezielte Behandlungen künstlich steigern lässt. Dadurch würde zwar die ursprüngliche chronisch-entzündliche Lungenerkrankung nicht gemildert werden, gegen verschiedene Erreger von Atemwegsinfektionen könnte dieser Ansatz aber für viele Patienten einen prophylaktischen Schutz bedeuten.
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung