Unterernährung betrifft weltweit mehr als 19 Millionen Kinder unter 5 Jahren und ist eine der Hauptursachen für Krankheit und Tod in den Entwicklungsländern. Es ist bekannt, dass eine Mangelernährung der Mutter während der Schwangerschaft die Lungenfunktion ihres Kindes nach der Geburt direkt beeinflusst - zum Beispiel, weil weniger Lungenbläschen zum Gasaustausch zur Verfügung stehen – oder auch indirekt durch verzögertes Allgemeinwachstum des Kindes, geringeres Geburtsgewicht oder eine zu frühe Geburt. Insbesondere Vitamin-A-Mangel während der Schwangerschaft hat nachweislich negative Auswirkungen auf die Lungenentwicklung des Kindes. Demgegenüber sollen sich Stillen und eine ausgewogene Ernährung in der Kindheit positiv auf die Lungenfunktion auswirken.
Umso überraschender ist das Ergebnis einer aktuellen Studie mit 237 Kindern im Alter von 7 bis 15 Jahren in Malawi, die vor einigen Jahren eine Hungersnot erlitten und überlebt hatten. Deren Lungenfunktion und Sauerstoffsättigung des Blutes wurden sieben Jahre nach der Hungersnot gemessen und dann mit den Werten anderer gleichaltriger Kinder aus der gleichen Gemeinschaft verglichen, die nicht wegen Fehlernährung behandelt werden mussten. Bei den unterernährten Kindern konnten weder Einbußen in der Lungenfunktion noch in der Sauerstoffsättigung festgestellt werden, allerdings wiesen sie eine deutlich geringere, alterstypische Körpergröße und deutlich (um durchschnittlich 1,9 cm) kürzere Beine als die nicht unterernährten Kinder auf (siehe European Respiratory Journal, Online-Veröffentlichung am 6.4.17).
Die Studienautoren schlussfolgern daraus, dass der menschliche Organismus unter Bedingungen der Mangelernährung offenbar das Lungenwachstum mit hoher Priorität fortführen kann und dafür andere Entwicklungsprozesse drosselt. Somit bliebe die Lunge von den Auswirkungen der Fehlernährung verschont, auf Kosten der Beinlänge, die unter diesen Bedingungen weniger überlebenswichtig als die Lungenfunktion erscheine. Die Studienautoren sprechen deshalb von einem Lungen schonenden Wachstum (lung sparing growth) - analog zu einem Gehirn schonenden Wachstum (brain sparing growth), das im Rahmen der sogenannten „Thrifty Phenotype Hypothesis“ (Sparsamer-Phänotyp-Hypothese) über den Zusammenhang zwischen den Ernährungsbedingungen in der frühen Kindheit und dem Krankheitsrisiko im späteren Erwachsenenalter genannt wurde (siehe American Journal of Human Biology 2011, Band 23/1, Seite: 65–75).
Künftige Studien sollen nun zeigen, ob diese lung sparing growth-Hypothese Bestand hat und dazu die Art der Mangelernährung in Abhängigkeit vom jeweiligen Alter unterernährter Kinder genauer untersuchen. Zumal man weiß, dass die Lungenentwicklung altersabhängig ist und Lungenbläschen nicht nur während der fötalen Entwicklung im Mutterleib, sondern auch noch in der frühen Kindheit bis zum Ende des zweiten Lebensjahres gebildet werden.