Ein entscheidender Faktor für die zunehmende Unwirksamkeit von Antibiotika ist ihr übermäßiger und teils unsinniger Einsatz. Bei Infektionen der tiefen Atemwege lässt sich z.B. anhand der klinischen Krankheitsanzeichen (Symptome) und gängigen Laborwerte im Vorfeld der Behandlung oft nicht zuverlässig erkennen, ob Viren oder Bakterien die Verursacher sind. Gegen Viren können antibiotische Medikamente grundsätzlich nichts ausrichten. Trotzdem erfolgt oft eine Behandlung mit Antibiotika, ohne zu wissen, ob die Erreger der Infektion ansprechen werden oder nicht. Vor diesem Hintergrund ist die Bestimmung eines Biomarkers – namens - Procalcitonin (PCT) - ein viel versprechender Ansatz zur Diagnose und Steuerung der Antibiotikatherapie, der künftig dabei helfen wird, Resistenzen zu vermeiden.
Procalcitonin (PCT) fungiert im normalen Stoffwechsel als ein Vorläufer des hormonell aktiven Calcitonins, das zusammen mit dem so genannten Parathormon den Calcium- und Phosphathaushalt des Körpers reguliert. PCT wird ausschließlich in der Schilddrüse gebildet und dort sofort in das reife Hormon umgewandelt, so dass bei gesunden Personen nur sehr geringe PCT-Konzentrationen nachweisbar sind. Bei bakteriellen Infektionen bilden jedoch nahezu alle Zellsysteme PCT und geben dieses in hohen Konzentrationen in die Blutzirkulation ab. Bei Virus- und Autoimmunerkrankungen oder allergischen Reaktionen steigt PCT dagegen wenig bis gar nicht an.
Verschiedene Studien konnten bereits den Nutzen von PCT bei verschiedenen Formen von tiefen Atemwegsinfekten zeigen. Zum Beispiel wurde in einer groß angelegten Untersuchung mit 1.359 Patienten (so genannte ProHOSP-Studie) nachgewiesen, dass ein systematischer Einsatz des Biomarkers die Antibiotikagabe um ein Drittel verkürzen kann und mit weniger Antibiotikaverschreibungen und Nebenwirkungen einhergeht.
Auf Basis der bisherigen Erkenntnisse empfiehlt die aktualisierte S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) unter anderem bei akuter Verschlechterung (Exazerbation) der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung COPD auf eine antimikrobielle Therapie zu verzichten. Das gelte insbesondere, wenn der PCT-Wert weniger als 0,1 ng/mL beträgt und eine leichtgradige oder mittelschwere Verlaufsform vorliegt. Außerdem gilt PCT als ein relevanter Entzündungsmarker zur Erkennung und Verlaufskontrolle von Patienten, die mit einer ambulant erworbenen Lungenentzündung (CAP) ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Bei Erkrankten mit schwerer, ambulant erworbener Lungenentzündung (Pneumonie) ist gemäß der aktualisierten Leitlinie die Bestimmung von PCT aus prognostischen Gründen zur Therapiesteuerung zu erwägen, da hier sowohl erhöhte PCT-Werte am Tag 1 als auch ein fehlender Abfall von Tag 1 zu Tag 3 mit einer ungünstigen Prognose in Zusammenhang stehen. Ein fehlender PCT-Rückgang sollte daher als Zeichen für das Vorliegen eines Therapieversagens oder für eine sekundäre infektiöse Komplikation in Betracht gezogen werden. Zudem ist hier mit seriellen PCT-Tests eine Steuerung der Antibiotikatherapiedauer möglich. Dabei spricht ein Wert von < 0,1 µg/L bei einer gleichzeitigen klinischen Besserung für die Beendigung der Therapie.