Nach einer Grippeschutzimpfung mit abgetöteten Influenzaviren wird das Immunsystem dazu angeregt, Antikörper gegen Oberflächenmerkmale des saisonal kursierenden Grippestamms herzustellen. Da sich die Grippeviren ständig verändern, muss die Zusammensetzung des Impfstoffs immer wieder angepasst und die Impfung jedes Jahr neu verabreicht werden. Neben dem Antikörper-abhängigen Arm des Immunsystems ist aber auch der zelluläre Arm des Immunsystems in der Lage, körperfremde Stoffe oder Erreger abzuwehren und einen Immunschutz gegen Influenza zu vermitteln: Immunzellen aus der Gruppe der T-Lymphozyten, sogenannte zytotoxische T-Zellen, können Körperzellen, die von Bakterien oder Viren infiziert sind, erkennen und attackieren. Das berichten Forscher am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) (siehe PLoS Pathogens, Online-Veröffentlichung am 16.9.19), die ein Influenza-Antigen in Zytomegalieviren (CMV) integriert und eine starke Reaktion der T-Lymphozyten ausgelöst haben. „Kein anderes Virus löst solch eine starke Immunreaktion der T-Zellen aus wie das Zytomegalievirus (CMV)“, erklärt Prof. Luka ?i?in-Šain, Leiter der Forschungsgruppe ‚Immunalterung und Chronische Infektionen‘ am HZI. „Diese Eigenschaft nutzen wir, indem CMV das Vehikel ist, um einen kleinen Proteinabschnitt des Influenzavirus in Wirtszellen einzuschleusen.“
Die Besonderheit dabei: Die Hybridviren locken, wenn sie über die Nase verabreicht werden, T-Zellen aus dem Blutkreislauf in die Schleimhäute der Atemwege. Diese Immunzellen werden bei Kontakt mit Influenzaviren schnell aktiviert und dienen als Wächter, die den Viren den häufigsten Eintrittsort in den Körper versperren.
Die Darreichungsform der Impfung hat daher einen Einfluss auf die Schutzwirkung: Obwohl über die Nase verabreichte Zytomegalieviren im Blut eine geringere T-Zell-Aktivierung auslösten als solche, die mit einer Spritze injiziert wurden, ergab sich bei der nasalen Impfung ein besserer Schutz vor einer Influenzainfektion. Der entscheidende Faktor dafür sind die in der Schleimhaut ansässigen, zytotoxischen T-Zellen. Durch die Impfung verlassen die Immunzellen den Blutkreislauf und siedeln sich im Zielgewebe an. Dort können die Abwehrzellen über lange Zeit verbleiben. Bei Kontakt mit Influenzaviren produzieren sie Botenstoffe und locken weitere Immunzellen an den Ort der Infektion.
„Wir konnten zeigen, dass es eine wesentliche Rolle spielt, wo eine Immunantwort stattfindet. T-Zellen, die sich in den Schleimhäuten der Atemwege befinden, schützen besonders effektiv gegen Influenza, da dies der typische Infektionsweg ist. Sie kommen also sehr früh mit den Grippeviren in Kontakt und ‚bewachen‘ die Eintrittsorte“, erläutert Prof. Dunja Bruder, deren Arbeitsgruppe ‚Immunregulation‘ ebenfalls an der Studie beteiligt war.
In weiteren Experimenten konnten die Forscher nachweisen, dass die Immunität ausschließlich auf dem zellulären Arm des Immunsystems basiert. Eine Beteiligung von Antikörpern konnten sie ausschließen. Damit gelang in interdisziplinärer Zusammenarbeit von insgesamt vier Gruppen und Einrichtungen am HZI erstmals die Entwicklung einer T-Zell-basierten Grippeimpfung. „Wir müssen in der Infektionsforschung unseren Blick auf das gesamte System richten. Alle Gewebe – nicht nur das Blut – sind am Infektionsverlauf und dem Aufbau von Immunität beteiligt“, betont ?i?in-Šain. „Der Grippeimpfstoff der Zukunft könnte daher auf eine kombinierte Immunität durch im Blut zirkulierende Antikörper und T-Zellen, die die Schleimhäute ‚bewachen‘, abzielen.“
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung