Die Geschichte der Lungenheilkunde war bis Mitte des 20. Jahrhunderts gleichbedeutend mit der Geschichte der Tuberkulose (TB). Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 vollzog sich in der damaligen Gesundheitspolitik ein kompletter Paradigmenwechsel unter dem Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“. TB-Patienten galten nun nicht als kranke, hilfebedürftige Individuen, sondern in erster Linie als Ansteckungsquelle. Die Bekämpfung der TB führte zu einem System der Ausgrenzung von TB-Kranken bis hin zu ihrer Tötung. Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hat dieses dunkle Kapitel deutscher Medizingeschichte jetzt mit Unterstützung zahlreicher Medizinhistoriker aufgearbeitet. Ihre Ergebnisse legt sie anlässlich des 59. Kongresses der DGP in Dresden vor. Vom 14. bis 17. März können Teilnehmer dort auch die dazugehörige Ausstellung „Die Lungenheilkunde und ihre Institutionen im Nationalsozialismus“ besuchen.
Armut, Unterernährung und mangelnde Hygiene begünstigten zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Ausbreitung der TB, die vor allem im mittleren Lebensalter zuschlug: Unter den 25- bis 40-Jährigen erlag jeder vierte der Lungenerkrankung. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine wirksame Behandlung, sodass die Prävention als einziger Ausweg blieb. „Prävention bedeutete damals die gesellschaftliche Isolation chronisch kranker Menschen“, erklärt Prof. Dr. med. Robert Loddenkemper von der DGP-Arbeitsgruppe. Die Krankheitslast war so groß, dass Maßnahmen wie Zwangseinweisung von Patienten, Eheverbot und Schwangerschaftsunterbrechung bereits in der Weimarer Republik ausgiebig diskutiert wurden. Während sie zunächst als „unmenschlich“ verworfen wurden, verschob sich der Diskurs im Laufe der 1920er Jahre weiter zur praktischen Umsetzung, die das NS-Regime dann rigoros vornahm.
„Als deutsche Fachgesellschaft für Lungenheilkunde ist es unsere Aufgabe, dieses Kapitel der Geschichte auch für unsere Fachrichtung Pneumologie aufzuarbeiten und gegen zukünftige ideologische oder ethische Umbrüche in der Medizin zu sensibilisieren“, betont Loddenkemper. In intensiven Literaturrecherchen suchte die Arbeitsgruppe nach Antworten auf die Fragen, welche Maßnahmen das NS-Gesundheitswesen einsetzte, um die TB zu bekämpfen, wie Ärzte als Vorkämpfer, Mitläufer oder schlicht als schweigende Masse agierten und wie eng die Zweckbeziehung zwischen NS-Regime und den Wortführern der Tuberkulosepraxis und -Forschung war. Die durch die nationalsozialistische Ideologie mit dem Stempel der „Asozialität“ versehenen TB-Kranken gerieten in ein System von Ausgrenzung, Verfolgung und Mord. Was mit Zwangsmaßnahmen wie Eheverbot und Zwangseinweisung begann, führte – beispielsweise für KZ-Insassen und Kriegsgefangene – zu tödlichen TB-Experimenten und der Tötung unheilbarer TB-Patienten. Zum Thema wurden aktuell auch ein Buch und ein Artikel veröffentlicht:
- Loddenkemper R, Konietzko N, Seehausen V, Hrsg. (unter Mitarbeit von Bruns F und Ley A). Die Lungenheilkunde im Nationalsozialismus. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.; 2018
- Loddenkemper R, Konietzko, N, Seehausen V: Die Lungenheilkunde und ihre Institutionen im Nationalsozialismus. Pneumologie 2018; 72: 106–118. DOI https://doi.org/10.1055/s-0044-100315
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)