Weltweit gesehen gehört die Tuberkulose zu den zehn häufigsten Todesursachen. Jahr für Jahr sterben 1,5 Millionen Menschen an der Infektionskrankheit, die von Bakterien der Art Mycobacterium tuberculosis hervorgerufen wird und zumeist die Lungen befällt. Die Therapie ist aufwendig und langwierig: TB-Patienten müssen über viele Monate hinweg Antibiotika nehmen - eine Substanz allein reicht dabei nicht, üblich sind Kombinationen von bis zu vier Mitteln. Eines davon ist Ethambutol. Es ist schon lange im Einsatz, doch wie es genau wirkt, war bislang nicht bekannt. Ein Team um Marc Bramkamp, Professor für Mikrobiologie an der LMU, hat den Wirkmechanismus nun genauer untersucht und dabei unter anderem mit hochauflösender Mikroskopie den Einfluss des Antibiotikums auf die Bakterienzellen sichtbar gemacht (siehe mBio, Online-Veröfentlichung am 7.2.2017).
Ethambutol wirkt bakteriostatisch (d.h. es hemmt das Wachstum der Bakterien), tötet die Zellen aber nicht ab. Das Antibiotikum verhindert, dass die Erreger ihre Zellwände vollständig bilden können – so viel war bereits bekannt. Wie das im Einzelnen geschieht, ist relativ komplex und soll im Folgenden geschildert werden.
Mycobacterium tuberculosis gehört zu einer Gruppe von Bakterien, von denen viele Spezies harmlos, eine Reihe aber gefährliche Erreger - etwa der Lepra oder der Diphtherie - sind. Allen ist aber eines gemeinsam: Der vergleichsweise komplizierte Aufbau der Zellwand. Auf der bei den meisten Bakterien üblichen Schicht aus Peptidoglykan, einem Netz aus speziellen Zuckern und Aminosäuren, liegt ein komplexes Geflecht von Zuckern wie Galaktose und Arabinose, das sogenannte Arabinogalaktan. Damit verbunden ist wiederum eine dichte Lipidschicht, die die gesamte Bakterienhülle widerstandsfähig macht.
Die stäbchenförmigen Mykobakterien wachsen von den Enden, den Zellpolen, her. Und von dort aus, so konnten die LMU-Wissenschaftler mit ihren Experimenten an harmlosen Verwandten des Tuberkulose-Erregers zeigen, überzieht eine komplexe Synthesemaschinerie die Bakterienzelle im Normalfall mit den beiden äußeren Hüllen. Genau diesen Prozess unterbindet Ethambutol: Es sorgt dafür, dass sich die Arabinose-Moleküle nicht zu größeren Einheiten zusammenfügen können, den Bakterien fehlt eine intakte Arabinogalaktan-Schicht und damit auch der äußere Lipid-Mantel. Die Bakterien aber haben noch eine zweite Maschinerie zur Wandsynthese: Sie wird in der Mitte der Stäbchen aktiv, wenn sich dort die Mutterzelle teilt. Diese Maschinerie aber, so zeigten Bramkamp und sein Team, baut nur den inneren Peptidoglykan-Mantel auf. Ihr kann Ethambutol nichts anhaben, dafür aber sog. beta-Lactam-Antibiotika, zu denen auch die Penicilline gehören.
Morphologisch allerdings zeigt die Ethambutol-Behandlung eine frappierende Wirkung: Aus den ehemals langgezogenen Stäbchen werden im Verlauf der Zellteilungszyklen immer kugelförmigere Bakterien. Das zeigt, dass die Zellen in die sogenannte stationäre Phase übergehen - eine Art Schlafstadium, das sie unangreifbar macht für Antibiotika, die sich ja gegen wachsende Zellen richten. „Mit Ethambutol allein würde man die Erreger also in einen Zustand bringen, in dem man sie gewiss nicht haben möchte“, gibt Bramkamp zu bedenken. Allerdings ergänzen und verstärken Antibiotika, die in die Peptidoglykansynthese eingreifen, Ethambutol in seiner Wirkung. Der Zellteilungsapparat, so hofft der LMU-Forscher aufgrund der neuen Erkenntnisse, sollte daher ein weiteres Angriffsziel für neue Antibiotika bieten.
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München