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Alljährlicher evolutionärer Friedhof

Neue Erkenntnisse über die jährliche, weltweite Wanderung der Influenza-Viren wurden kürzlich in den Fachjournalen Science und Nature veröffentlicht. Damit dürfte sich die jährliche Herstellung der Grippe-Impfstoffe künftig noch besser optimieren lassen…

Grippe-Epidemien fordern weltweit jährlich etwa 500.000 Todesopfer, und zwischen drei und fünf Millionen Menschen erkranken jedes Jahr an Influenza. Schon seit langem wird vermutet, dass diese jährlichen Influenza-Epidemien ihren Ursprung in Asien haben. Bisher dachte man allerdings, dass sich die Grippe-Viren, die es bevorzugt feucht und kalt lieben, jedes Jahr von den Tropen mit den dort beginnenden Trockenzeiten entweder in die Nord- oder in die Südhemisphäre ausbreiten, je nachdem wo gerade Winter ist. Ein ganz anderes, globales Ausbreitungsszenario für die jährlich kursierenden Virus-Varianten haben jetzt Wissenschaftler um Colin Russell und Derek Smith von der Cambridge Universität in der Fachzeitschrift Science (2008: 320, 340–346) Science dargestellt, nachdem sie 13.000 Influenza A-Viren vom Stamm bzw. Subtyp H3N2 aus den Jahren 2002 und 2007 untersucht und die Veränderung bestimmter Hämagglutinin-Antigene (H und N) aufgezeichnet haben. Die Buchstaben H und N sind Abkürzungen für zwei Eiweiße auf der Oberfläche der Viren, Hämagglutinin und Neuraminidase. Diese Bausteine unterlaufen häufig Genveränderungen (Mutationen). Anhand dieser Veränderungen lässt sich daher der Wanderungsverlauf einer bestimmten, jährlichen Virus-Variante gut nachvollziehen (so genannte antigene Kartografie).

Russel, Smith und ihre Mitarbeiter konnten belegen, dass die jährlichen Grippe-Epidemien immer von den tropischen Zonen Ost- und Südostasiens aus beginnen. Von dort breitet sich die jeweilige jährliche Virusvariante dann Richtung Australien und Neuseeland aus, bevor sie nach sechs bis neun Monaten Europa und Nordamerika erreicht. Zuletzt gelangt die Virusvariante nach Südamerika, bevor sie von der Bildfläche verschwindet. „Die starken Reise- und Handelsverbindungen, die zwischen den betreffenden asiatischen Ländern und Europa, Nordamerika und Ozeanien bestehen, könnten erklären, warum die jährlichen Virusvarianten dort relativ schnell ­ nach sechs bis neuen Monaten ­ auftauchen“, erläutert Prof. Dieter Köhler vom wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). „Demgegenüber ist Südamerika eher schlecht mit dem asiatischen Raum verbunden.“

Bei ihrer jährlichen Wanderung um die Welt kehren die Viren aber nachweislich nie in ihre tropische Heimat zurück. Vielmehr endet laut Russel die jährliche Wanderung der Viren Jahr für Jahr in einem evolutionären Friedhof. Dass die Grippeviren auch in den gemäßigten Zonen niemals den Sommer überleben, konnte ein weiteres Forscherteam um Edward Holmes im University Park der Pennsylvania State Universität beweisen, das die Gensequenzen von 1.302 Virusproben aus Nordamerika und Neuseeland miteinander verglichen hat. „Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature (2008; doi: 10.1038/nature06945) berichten, wird jede jährliche Grippe-Welle tatsächlich von neuen Viren getragen“, berichtet Köhler. „Offenbar wechseln sich dabei die wichtigsten Subtypen der Influenza A Jahr für Jahr miteinander ab. So gibt es Jahre, in denen H3N2 dominiert und H1N1 in den Hintergrund gerät, und andere Jahre, in denen dies genau anders herum der Fall ist.“

Weil die Grippe-Viren jedes Jahr eine neue Variante bilden, die sich zwar im Lauf des Jahres noch weiter - jedoch nur in geringem Maße - verändert, muss auch der Grippe-Impfstoff jedes Jahr neu entwickelt werden, wobei man versucht, ihn so gut wie möglich an die aktuell kursierende Eiweiß-Variante anzupassen. „Künftig dürfte sich auf Grund der neuen Erkenntnisse über die globale Wanderung und durch eine bessere Überwachung der Grippe-Viren im asiatischen Raum noch genauer vorhersagen lassen, welche Virusvariante sich jeweils um die Welt ausbreiten wird“, erklärt Köhler. „Damit sollten in Zukunft auch die Impfstoffe noch besser an den aktuell zirkulierenden Subtyp angepasst werden können.“