Prof. Dr. Robert Loddenkemper, Generalsekretär des Deutschen Zentralkommitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) in Berlin:
„Obwohl Deutschland heute bei der Tuberkulose zu den „Low-incidence“-Ländern gehört, gibt dies keinen Anlass zur Entwarnung oder zur Sorglosigkeit, denn global gesehen zählt die TB neben AIDS und Malaria unverändert zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Nach Schätzungen der WHO waren 2009 9,4 Millionen Menschen neu an TB erkrankt. 1,7 Millionen starben an TB, womit die TB zu den zehn häufigsten Todesursachen zählt.
Zwei Gründe stellen heute die wichtigsten Hindernisse für eine erfolgreiche TB-Bekämpfung dar:
1. Die Zunahme von medikamentenresistenten TB-Fällen:
Im Jahr 2008 wurden der WHO die bislang höchsten Raten an multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) gemeldet: weltweit etwa 440.000 neue MDR-Fälle. Von den 27 Ländern mit einer hohen MDR-Rate liegen 15 Länder in der WHO-Europaregion (im Nordwesten der Russischen Föderation bis zu 28 % MDR-TB unter allen neuen TB-Fällen, in Regionen Tadschikistans bis zu 62 % unter vorbehandelten Patienten). Etwa 50.000 Fälle haben sogar eine extensive Medikamentenresistenz (XDR-TB), bei der kaum noch Mittel zur Behandlung zur Verfügung stehen und die eine hohe Mortalität haben.
2. Koinfektionen mit HIV:
Weltweit sind etwa 15 % der neu an TB erkrankten Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Fast 80 % betreffen den afrikanischen Kontinent, in der WHO-Europaregion steigen die Zahlen besonders in Osteuropa in den letzten Jahren deutlich an. In Deutschland zeigt sich nach den neuesten Zahlen des RKI-Berichts 2011 zwar ein leichter Rückgang der TB-Neuerkrankungen, jedoch hat sich dieser deutlich verlangsamt. Bei Kindern findet
sich ein Anstieg, auch die Medikamentenresistenzen nehmen wieder zu. 2009 zeigte sich in fünf, 2010 sogar in sieben Bundesländern eine Zunahme im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr. Bundesweit betrug die TB-Inzidenz 2009 5,4/100.000 Einwohner, besonders in den
großen Städten liegt die Inzidenz deutlich darüber. Der Anteil der im Ausland geborenen Patienten betrug 2009 44,6 % (im Jahr 2001 41,5 %), wächst also wie in den meisten westeuropäischen Ländern.
Eine ernste Gefahr liegt bei uns im Verlust des Wissens über die TB und darin, bei der
Differenzialdiagnose nicht an eine TB zu denken, was nachweisbar zu langen Verzögerungszeiten bis zur endgültigen Diagnosestellung führt. Damit steigt die Gefahr einer Übertragung des Erregers auf Kontaktpersonen an. Eine Erhebung des DZK unter Hausärzten macht erhebliche Lücken im Wissen über die TB deutlich. Aber auch angesichts der globalen Situation, der wachsenden Migration – Länder mit hohen TB-Inzidenzen wie die baltischen Staaten, Bulgarien und Rumänien gehören inzwischen zur EU – können wir keineswegs sicher sein, dass sich die bisherige positive epidemiologische Entwicklung bei uns langfristig fortsetzt. Deshalb sind der Erhalt und die Verbesserung bestehender Strukturen zur TB-Kontrolle unverändert wichtig.“